Gerade hat es noch geregnet, die Wiese dampft und die Wege sind schlammig. Schnaufend schleppen sich einige Menschen vom Parkplatz des Guts Hochreute den steilen Hügel hinauf Richtung Zeltplatz.
In allen Farben reihen sich dort Hunderte der Campingbehausungen aneinander, Menschen sitzen vor den Zelten in der Sonne, manche unterhalten sich. Wortfetzen in Englisch, Russisch und anderen Sprachen, die der Laie nicht einordnen kann, sind aufzuschnappen. Aus über 40 Ländern sind rund 3000 Buddhisten zum jährlichen Treffen auf dem 50 Hektar großen Gelände oberhalb des Alpsees gekommen. Denn dort findet bereits zum vierten Mal der Sommerkurs des Buddhistischen Dachverbands Diamantweg (BDD) statt.
Brummen und Hicksen
Am Zeltplatz angekommen, baut sich ein riesiges, weißes Zelt vor dem Besucher auf. Schon von Weitem vernimmt man ungewohnte Töne. Es ist ein Summen, ein Brummen, ein Murmeln aus Tausenden Mündern, das plötzlich in ein helles Hicksen mündet. Dann ist es kurz still und das tiefe Brummen setzt erneut ein. Die Teilnehmer widmen sich darin neun Stunden am Tag der Meditation des bewussten Sterbens, durch die sie erlernen, wie sich das Scheiden aus dem Leben anfühlt.
Die Vorstellung, wie im Zelt fast 3000 Menschen Meditationskissen an Meditationskissen im Schneidersitz hocken und einem Lehrer folgen, der ihnen Anweisungen zum Brummen und Hicksen gibt, bleibt an diesem Tag leider auch nur eine solche. Hineinschauen ist strengstens verboten.
Insgesamt zwei Wochen geht das Treffen der Buddhisten im Europa-Zentrum in Immenstadt, das eines von 145 Zentren des BDD in Deutschland und 618 weltweit ist. Neben Meditationen und Vorträgen ist der Besuch eines Mönchs aus Nepal Höhepunkt für die Gläubigen.
Wieder weiter hangabwärts stehen zwei riesige Küchen- und Essenszelte. Die Versorgung der knapp 3000 Gästen ist ein Mammutprojekt. 200 feste Helfer gibt es, aber alle Teilnehmer packen irgendwo mit an, sei es beim kiloweise Kartoffelschälen oder dem Putzen der Duschcontainer. Für Essen, Waschgelegenheiten und alle Programmpunkte zahlt jeder Gast 45 Euro pro Tag.
Nur wenig Vorurteile im Allgäu
Im abgetrennten Kinderbereich des Essenszelts spielt Gerrit Böhm mit seinem knapp zwei Jahre alten Sohn Nikolai. Der 37-jährige Architekt ist schon von Anfang an in Immenstadt dabei. Seine sechs Jahre jüngere Frau aus Bulgarien hat er 2008 bei der Vorbereitung zum ersten Kurs kennengelernt. Voneinander wie von der Region waren die Beiden gleich fasziniert und sind daraufhin Hals über Kopf zusammen ins Allgäu gezogen.
Dort haben sie sich sofort willkommen gefühlt. >, sagt der bald zweifache Vater.
Die nächste Station führt in die prunkvolle Jugendstil-Villa des Guts Hochreute. Dort sitzt der Lama, also spirituelle Lehrer des Kurses, Ole Nydahl im hellen, gemütlichen Wintergarten, der einen malerischen Blick auf den Alpsee bietet. Er sieht nicht aus, wie man sich einen buddhistischen Lehrer vorstellt. Der 70-jährige Däne ist ein drahtiger, braun gebrannter Mann mit schlohweißem Bürstenschnitt.
>, versucht er, den Sinn der Meditation des bewussten Sterbens nochmals zu erklären. Ziel der Übung sei es, dass das Bewusstsein durch die stundenlange Meditation für kurze Zeit einmal den Körper verlässt. Ob es nicht gruselig sei, sich schon zu Lebzeiten so intensiv mit dem eigenen Sterben zu befassen? >, findet Nydahl, >.
Verängstigt wirkt hier tatsächlich niemand. Auch auf dem letzten Weg zurück zum Parkplatz kreuzen ausschließlich fröhliche Menschen den Weg. Vielleicht ist es der Glaube, der ihnen Kraft gibt und sie so glücklich macht. Oder es ist die Sonne, die nach der verregneten Nacht Wiesen und Zelte endlich getrocknet hat.
Und das Allgäu an diesem Tag in seiner schönsten Pracht erstrahlen lässt.