Sie sind stumme Wächter. An Straßenrändern mahnen sie, dass jedes Leben in Sekunden enden kann. Ein Fahrfehler, ein unachtsamer Moment hinter dem Steuer genügen. Was bleibt, sind Erinnerungen - die jedes Straßenkreuz stumm wachhält.
Wie viele dieser Mahnmale im Allgäu stehen, ist nicht erfasst. Bekannt ist aber: Unfallkreuze sind ein junges Phänomen. Erst seit "rund 30 Jahren finden sich in vielen westlichen Gesellschaften verschiedene informelle Gedenkstätten an Straßenrändern, die den Todesort von Unfallopfern markieren", schreibt etwa Tobias Röhl vom Institut für Soziologie in Mainz in seiner Publikation "Symbole des Unfalltodes".
Eine nüchterne Aussage, die die Schicksale hinter den Kreuzen kaum erahnen lässt - und auch nicht die Tatsache, dass die Mahnmale oft an jugendliche Unfalltote erinnern. Gerade mal 25, 24 und 17 Jahre alt waren beispielsweise die vier Opfer eines Verkehrsunfalls auf der B 12 im Juli 2007. Bei starkem Regen war ihr Pkw bei Wildpoldsried (Oberallgäu) ins Schleudern geraten und mit einem Wohnmobil kollidiert. Alle Vier starben an der Unfallstelle.
"Unfall live miterlebt"
Im Auto dahinter saßen Freunde der Opfer. "Wir haben den Unfall live miterlebt", erinnert sich ein 28-jähriger. Später habe die Clique beschlossen, den Unfallort mit drei Kreuzen zu kennzeichnen. "Sie sollen an die Vier und an das was passiert ist erinnern", sagt der Füssener. "Und tragen für mich dazu bei, damit abzuschließen."
Unfallkreuze sind ein Weg, Trauer zu bewältigen. "Rings um das Kreuz legen Angehörige Blumen ab und stellen Kerzen auf", schreibt Soziologe Röhl. Auch Teddybären und persönliche Gegenstände des Opfers fänden sich dort. "Freunde oder die Familie schauen immer, dass die Blumen passen und eine Kerze da steht", bestätigt der Füssener. Er selbst fährt "nie an der Unfallstelle vorbei, ohne sich zu erinnern".
Aber reißen die stumm wachenden Kreuze dort nicht stets aufs Neue alte Wunden auf? "Das hängt davon ab, ob man sich mit dem Unfall auseinandergesetzt und ihn verarbeitet hat oder nur versucht, alles zu verdrängen", sagt er.
Verschwindet ein Straßenkreuz irgendwann, liegt das selten an den Behörden. Denn auch ohne Genehmigung (siehe Infokasten) aufgestellte Kreuze werden geduldet, solange sie den Verkehr nicht gefährden, sagt Josef Merk, Abteilungsleiter beim Staatlichen Bauamt.
In der Regel bleiben die Kreuze stehen, bis sich keiner mehr um sie kümmert. Dann zerfallen sie - wie die beiden zwischen den Pfrontener Ortsteilen Kappel und Weißbach (Ostallgäu), wo einem bereits der Querbalken fehlt. "An der Stelle haben sich zwei schwere Unfälle ereignet", berichtet Franz Randel.
Der Pfrontener kennt in seiner Heimatgemeinde fast jedes Feld- und Gedenkkreuz. Für ein Buch hat er rund 160 davon dokumentiert.
Zwischen Weißbach und Kappel, so weiß er, starb 1992 eine 20-Jährige bei einem Autounfall. Vier Jahre später wurde dort außerdem ein 36-jähriger Pkw-Fahrer tödlich verletzt, als er mit einem anderen Wagen zusammenprallte. Beide Unglücke liegen bereits rund 20 Jahre zurück. Doch die zwei stummen Wächter halten noch immer die Erinnerung an sie wach.