'Ich war einfach faul und hatte andere Sachen im Kopf'. Stefan Weidle macht keinen Hehl aus den Gründen für seinen mäßigen Hauptschulabschluss. 'Den Quali habe ich erst gar nicht versucht', blickt er ins Jahr 1999 zurück.
Fußball und Partys waren dem Gestratzer damals wichtig. Niemand, auch er selbst nicht, hätte für möglich gehalten, was in den Folgejahren passieren würde. Heute ist der inzwischen 28-Jährige nicht nur Geschäftsführer eines 32-Mann-Betriebes, sondern kann auch ein Master-Studium als Bau-Ingenieur vorweisen, das er vor kurzem mit einem Notenschnitt von 1,9 abgeschlossen hat. Im ersten Jahr seiner Ausbildung zum Zimmermann 'ging es so weiter wie während der Hauptschule in Weiler', blickt Weidle zurück. Denn zunächst stand mit dem Berufsgrundschuljahr viel Theorie an. 'Mit der Praxis kam die Begeisterung', erinnert sich der Gestratzer. Baustellen hat er nicht nur als spannend erlebt – 'dort hat man mir auch den Kopf gewaschen'. Und so sei 'der Knoten geplatzt'.
Die Ausbildung schloss er 2002 mit einem Notenschnitt von 2,3 ab. Schon damals habe er sich überlegt, wie er eigene Ideen verwirklichen könne. Diese Gedanken standen am Anfang der Weiterbildung.
Damals ging er davon aus, einmal eine Zimmerei zu übernehmen und machte nach drei Jahren praktischer Erfahrungen als Zimmermann den hierfür erforderlichen Meistertitel. Kurz vor dem Abschluss hörte er vom damaligen Pilotprojekt, mit dem Meistertitel in der Tasche auch studieren zu können - ganz ohne Mittlere Reife oder gar Abitur. Das Aufnahmekriterium – einen Notenschnitt unter 2,0 – erfüllte er. Und so ging es im März 2007 los: 'Das war richtig heftig am Anfang', erinnert sich Weidle. Nächtelang sei er vor Mathematik-Büchern gesessen. Aber letztlich habe er die erste Klausur bestanden - 'und dann lief es'.
Während des Bachelor-Studiums vertiefte er den Bereich Holzbau, wandte sich dann aber dem Stahlbau zu. Weidle ging für ein halbes Jahr nach Chile und für ein Semester ins spanische Valencia, denn: 'Ich wollte mich von anderen Studenten abheben und mir Spanisch aneignen.' Schließlich ließ er dem Bachelor das Master-Studium folgen - nun ganz mit dem Schwerpunkt Stahlbau. 'Der Baustoff fasziniert mich, weil er absolut berechenbar ist', erklärt der 28-jährige.
Das Engagement des Gestratzers wurde auch in der eigenen Familie gesehen. So war sein Onkel bereit, mit dem Stahl- und Maschinenbau-Betrieb Eggert in Oberstadion (zwischen Biberach und Ehingen) eine Firma zu kaufen und ihn dort als Geschäftsführer einzusetzen. Dass diese Konstellation eine Besondere ist, das weiß Stefan Weidle.
Aber schon nach wenigen Monaten hat er gezeigt, dass er der neuen Aufgabe gewachsen ist. Hallen für den landwirtschaftlichen und den gewerblichen Bereich baut Eggert. Seit Weidle dort Chef ist, wurden bereits über 70 Vorhaben umgesetzt. Darunter auch die mit 7000 Quadratmetern bislang größte Halle der Firmengeschichte. 'Total unterschätzt' hat er zu Beginn den Bereich Personalführung. Und mitunter hat er auch den Eindruck, dass ein potenzieller Kunde aufgrund des Alters des neuen Firmeninhabers zurückschreckt. Insgesamt aber laufe alles prima.
Entspannen beim Angeln
Die Arbeit freilich ist zeitintensiv. 80-Stunden-Wochen absolviert Stefan Weidle derzeit. Urlaub hat er seit langem nicht gehabt. Für den Fußball hat er keine Zeit mehr. Aber einen Halbmarathon läuft er gelegentlich als Ausgleich - 'und vor allem beim Angeln kann ich entspannen'. Zusammen mit seiner Freundin wohnt er inzwischen nahe seiner Firma, aber für einige Stunden ist er jede Woche auch im Westallgäu, um die Eltern zu besuchen oder Freundschaften zu pflegen.
Den 'Chef mit Sportwagen' gibt Weidle nicht. Bescheiden ist der Firmenwagen ausgefallen. Und Gewinne will er ohnehin in die Firma investieren, um sie zukunftssicher zu halten.