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Sohn eines Gestapo-Offiziers spricht vor Schülern in Kempten

Interkultureller Herbst

Sohn eines Gestapo-Offiziers spricht vor Schülern in Kempten

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    Sohn eines Gestapo-Offiziers spricht vor Schülern in Kempten
    Sohn eines Gestapo-Offiziers spricht vor Schülern in Kempten Foto: Monika Rohlmann

    'Mein Vater war ein Nazi.' Es ist still, als Dirk Kuhl aus Baisweil (Ostallgäu) im Haus International in Kempten vor rund 120 Jugendlichen seine Geschichte erzählt. Der heute 72-Jährige ist ein Zeitzeuge – allerdings nicht auf der Opferseite, sondern als 'Täter-Kind'. Erst mit etwa 18 Jahren erfuhr er die Wahrheit über seinen Vater, einen Gestapo-Offizier und SS-Obersturmbannführer, der von Braunschweig aus ein Zwangsarbeiterlager leitete, in dem allein 3000 Menschen starben. Beim interkulturellen Herbst sprach Dirk Kuhl anstelle des Auschwitz-Überlebenden Franz Rosenbach, der wegen einer Erkrankung abgesagt hatte.

    Kuhl spricht über seine Heirat mit einer Jüdin aus der Ukraine und das gegenseitige Versprechen, das Schweigen zu durchbrechen, denn: 'Dieses Schweigen hat die Opfer-Kinder und die Täter-Kinder verbunden.' Die Schüler hören Kuhl interessiert zu. In Nürnberg gibt er auch Workshops und ist darüber hinaus in historischen Fernsehdokumentationen als Zeitzeuge Gast. 'Bis in die 70er Jahre gab es keinerlei Literatur über die Kinder der Täter. Erst der israelische Wissenschaftler Professor Dan Bar On hat die moralischen und psychologischen Nachwirkungen des Holocaust auf die Kinder von NS-Tätern erforscht, die Opfer- und Täter-Kinder zusammengebracht', erzählt er. 'Und wir stellten fest, in allen Familien gab es eine Mauer aus Schweigen.'

    Vater wurde 1948 zum Tode verurteilt

    Kuhl braucht kein Mikrofon für das Erzählen seiner Geschichte. Er verschafft sich so Gehör. Er spricht frei, macht hier und da einen Schwenker zu Nebenschauplätzen. Er beginnt bei seinem Großvater, einem 'Held' zu Kaiser Wilhelms Zeiten, strikt, ganz und gar nicht demokratisch. 'Mein Vater war ein gehorsamer Sohn, fügte sich ein.' Das Jurastudium besteht dieser nur schlecht, ist erst in einer schlagenden Verbindung, dann in der SA, dem großen 'Männerclub', in der NSDAP und in der SS. Bei der Gestapo macht er aufgrund seiner Gesinnung Karriere. Von der britischen Militärregierung schließlich wird er 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

    'Ich war damals mit meiner Mutter im Schwarzwald im Urlaub, da hat sie mir erzählt, mein Vater wäre im Lager erkrankt und gestorben', erzählt Dirk Kuhl.

    An dieser Lüge zerbrach die Verbindung zwischen Mutter und Sohn. 'Sie hätte mir nur einmal offen und ehrlich sagen müssen, dein Vater war ein Nazi.' Stattdessen habe sie später nur versucht, seine guten Seiten zu präsentieren: 'Er war charmant, ein guter Tänzer.' Ein Psychologe, so schiebt er ein, habe ihm dann eines Tages auch tatsächlich empfohlen, sich mit der 'menschlichen Seite' seines Vaters zu befassen.

    Nichtsdestotrotz beschaffte sich Dirk Kuhl die Prozessakten, forschte nach über den Mann, den er in seinem jungen Leben nur wenige Male sah und der dem Sechsjährigen im Lager Schokolade und Buntstifte schenkte.

    Beim Studium in Düsseldorf lernte Kuhl seine Frau Lena kennen, Jüdin aus der Ukraine. Beide Familien taten sich schwer mit der Beziehung. 'Kinder haben wir nicht', beantwortete Kuhl eine der vielen Fragen der Schüler: 'Aus der Überzeugung heraus, dass es bei unseren Familiengeschichten besser so sei.' 1994 verstarb seine Frau. Heute lebt der gebürtige Hamburger mit seiner zweiten Frau in Baisweil. Den Jugendlichen gab er mit auf den Weg: 'Entscheidet euch für die Farbigkeit des Lebens. Etwas ’reinhalten’ zu wollen ist Quatsch. Die Mischung macht’s – auch bei den Menschen.'

    Die Schüler kamen aus der Staatlichen Wirtschaftsschule Kempten, der Wirtschaftsschule Merkur in Immenstadt und der Berufsfachschule für Kinderpflege.

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