Weichenstellung: Ein Drittel der Schüler geht aufs Gymnasium. Von Dirk Ambrosch Kempten/Marktoberdorf Gymnasium oder Realschule? Für viele Eltern, deren Kind derzeit in die 4. Klasse einer Grundschule geht, stand diese Entscheidung in der vergangenen Woche an gestern lief die Anmeldefrist zum Schulwechsel ab. Laut bayerischem Kultusministerium wechseln etwa ein Drittel der Schüler einer Jahrgangsstufe auf das Gymnasium. Das Allgäu liegt hier im Trend: Im vergangenen Schuljahr waren es hier 30,85 Prozent der Schüler. Nach Ansicht von Lehrern werden entgegen mancher Empfehlung auch schwächere Schüler für das Gymnasium angemeldet aus Angst vor der Hauptschule.
'Die Übertrittszahlen auf das Gymnasium sind seit etwa 20 Jahren stabil', sagt Peter Brendel, Sprecher im bayerischen Kultusministerium. Etwa ein Drittel der Schüler eines Jahrgangs wechselt auf das Gymnasium. Im Allgäu waren dies im vergangenen Schuljahr 1943 Kinder (entspricht 30,85 Prozent).
Beispiel Pforzen (Ostallgäu): An der Grundschule tritt heuer von 51 Viertklässlern ein Drittel auf das Gymnasium über, etwa ein weiteres Drittel auf die sechsstufige Realschule. Ein üblicher Schnitt, wie die Konrektorin, Karin Nützel, sagt. Dennoch hat Nützel in den letzten Monaten während Beratungsgesprächen mit Eltern einen Trend ausgemacht: Kinder, die mit ihrem Notenschnitt zwar die Qualifikation für das Gymnasium besitzen, werden für die Realschule angemeldet. 'Die Versagerqoute auf dem Gymnasium ist hoch und die Eltern wollen einen Abbruch vermeiden', sagt Nützel.
Die Konrektorin bezeichnet die Elternschaft an der Pforzener Schule ('Mittelschicht, wenige Akademiker') als vernünftig: 'Sie nehmen Empfehlungen ernst und hören auf Lehrer'. Dennoch gebe es Einzelfälle, in denen Eltern Druck auf die Lehrer ausübten, wenn es um den Wechsel ans Gymnasium gehe. Noten würden in Frage gestellt und Proben bis ins Detail diskutiert. 'Oder Eltern schalten gleich den Schulleiter ein.' Nützel bezeichnet die Entscheidung am Ende der 4. Klasse als schwierig: 'Diese Weichenstellung ist belastend und ein riesiger Stress für Eltern und Lehrer.'
Dass in manchen Fällen auf Grundschullehrer Druck ausgeübt werde, davon hat auch der Direktor des Gymnasiums Marktoberdorf, Dr. Lorenz Deuringer, gehört. 'Das Problem ist, dass Eltern glauben, ihr Kind werde falsch beurteilt.' In den meisten Fällen bestätige sich jedoch das Urteil der Grundschullehrer: Kinder, die die Aufnahme auf das Gymnasium nur knapp oder erst nach dem Probeunterricht erreichten, gelangen laut Deuringer oft bereits in der 7. Klasse an ihre Leistungsgrenze und scheitern. Dennoch würden rund 80 Prozent der Eltern eine Empfehlung der Klassenkonferenz ignorieren, die etwa zu einem Wechsel zurück an die Hauptschule rät.
Deuringer sagt, dass zum Teil nach dem Grundsatz verfahren werde: 'Wir parken unser Kind zwei Jahre auf dem Gymnasium und schicken es dann auf die Realschule.' Verlierer sind laut Deuringer die Hauptschulen.
'Es gibt eine unausprechliche Angst vor der Hauptschule', sagt die Beratungslehrerin des Kemptener Hildegardis-Gymnasiums, Marianne Weikl. Die Hauptschule müsse deswegen einen höheren Stellenwert erhalten. Denn der gesellschaftliche Druck, der auf den Eltern laste, sei enorm. 'Manche schämen sich zu sagen, mein Kind geht auf die Hauptschule.'