Von Peter Schwarz Oberstdorf Nessa Altura. Welch seltsamer Name für eine deutsche Buchautorin! Es hat mit der portugiesischen Sprache zu tun, wie Nessa Altura wenigstens einen kleinen Zipfel ihres Pseu-donyms preisgibt Die Übersetzung könnte in etwa lauten: Es war einmal. So fangen meis-tens die Märchen an. Märchen schreibt Nessa Altura allerdings nicht unbedingt. Eher unheimliche Krimi-Geschichten, drollige Begebenheiten oder frivole Short Storys amerikanischen Zuschnitts, gleichwohl mit jeder Menge Lokalkolorit gewürzt. Allgäuer Lokalkolorit von bestechender Detailkenntnis. Gerade ist ein Erzählband von ihr mit 18 Episoden erschienen. Alle sind rund um ihren Zweitwohnsitz angesiedelt. Titel des Buches: Nacht über Oberstdorf. Schneewittchen im Schnee oder Waldfrevel im Walsertal, Kleine Gondelqualen oder Die Liebesloipe - so betitelt die Schriftstellerin ihre alpin eingetauchten verschrobenen Einfälle. Manchmal sind die Geschichten zum Gruseln. Manchmal haben sie eine erotische, ja vulgäre Note. Aber immer sind sie irgendwie wunderlich.
Da will der Schorschli vom Bauhof auf den winterlichen Schnee-Abfallhalden am Lido ein zufällig entdecktes und gemeucheltes Mädel vor dem endgültigen Verblühen bewahren, bis der finstere Mörder drohend vor dem Iglu steht. Da wird jemand von einem vermeintlichen Funkenfeuer am Mittag bei Immenstadt angelockt, das sich als hinduistische Witwenverbrennung mitten im Allgäu entpuppt. Da entledigt sich eine allein erziehende Mutter wutentbrannt ihres Balgs in der tosenden Breitachklamm. Und da stürzt der gebürtige Schöllanger Robert auf einer Gratwanderung zur Fiderepasshütte erbärmlich zu Tode. Es ist noch nicht lange her, dass sich die relativ jung im Schriftsteller-Gewerbe angesiedelte und bei Stuttgart lebende 52-jährige Autorin den Glauser-Kurzkrimi-Preis des Syndikats, eine von Schriftsteller-Kollegen vergebene Anerkennung, erschrieben hat. Seitdem jagen die Verleger ihre eingereichten Manuskripte nicht mehr gleich durch den Shredder, wie sie selbst in einem Interview ironisch bemerkte. Für den ebenfalls im Literatur-Betrieb aufstrebenden Prolibris-Verlag, der seine Nische in Regio-Krimireihen und Sagenbüchern gefunden hat, goss Nessa Altura beispielsweise mittelfränkische Volksüberlieferungen in eine zeitgemäße Fassung. Mit ihrer Anthologie Nacht über Oberstdorf liefert sie nun anderweitige Phantastereien im Paperback-Format. Verlagsleiter Rolf Wagner verspricht sich davon, dass vor allem Allgäuer Urlauber ein bisschen lokalen Hitchcock (Der Krähenkrieg) und ein wenig örtlich fixierte Fantasy (Das Imperium schlägt zurück) aus der Sommerfrische mit in den nüchternen Alltag zu Hause hinüberretten. Kleinverleger Wagner hat den vorerst nur mit einer Druckauflage von 2500 Exemplaren aufgelegten Erzählband eigenhändig in Oberstdorfer Buchhandlungen angepriesen. Er ist indes davon überzeugt, dass die ausgezeichnete Erzählerin ihren literarischen Weg machen wird. Schon zweimal hat die Autorin, weitgehend unerkannt von einer breiten Öffentlichkeit, unterm Nebelhorn aus ihren Druckwerken vorgelesen. Der neue Buchtitel springt sofort ins Auge. Das entliehene bekannte Tourismus-Poster der Kurverwaltung lässt den in der Abenddämmerung mit Sichelmond geschmückten Ferienort märchenhaft erscheinen: Nessa Altura. Nacht über Oberstdorf von Nessa Altura; 178 Seiten; 10 Euro; Prolibris-Verlag Rolf Wagner, Kassel; ISBN 3-935263-15-5; erhältlich im Buchhandel.