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Schnecke stoppt Schmerzen

Ottobeuren

Schnecke stoppt Schmerzen

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    Ihm war klar: Da ist was Schlimmeres passiert. Das Wasser reichte bis zur Brust, er konnte also theoretisch stehen. Trotzdem wäre Dietmar Schütze aus Pfaffenhausen damals im Italienurlaub fast ertrunken. Nur die Arme konnte er noch bewegen. Das war im Sommer 1998. Seither ist der heute 52-Jährige vom Schlüsselbein abwärts gelähmt. Er sitzt im Rollstuhl. Schütze ist bei Dr. Wolfgang Hofacker in Behandlung. Der Chefarzt der Anästhesieabteilung der Kreisklinik in Otto-beuren hat dem Querschnittspatienten vor rund einem Jahr eine Medikamentenpumpe unter die Haut des Bauches eingesetzt. Seither seien die Beschwerden "relativ erträglich".

    Es waren Übermut und Dummheit, sagt Schütze, die sein Leben für immer verändert haben: Zwei Bekannte stemmen seine Füße und seinen Körper unter Wasser wie bei einer Räuberleiter in die Höhe, holen Schwung und schleudern ihn nach vorn. Schütze schlägt senkrecht auf dem Wasser auf, sein Kopf prallt auf den Sandboden.

    Fast 1700 ambulante Schmerzpatienten im Jahr

    Der ehemalige Kommunikationselektroniker ist einer von 1681 Schmerzpatienten, die im vergangenen Jahr ambulant in der Ottobeu-rer Klinik behandelt wurden. 350 waren es stationär. Als Schmerzpatient gilt laut Hofacker, wer länger als drei oder vier Monate an Schmerzen leidet - sei es beispielsweise durch einen Tumor, nach einer Operation, einem Unfall oder Krankheiten wie Migräne. Auch Krämpfe (Spasmen) können gelindert werden.

    Chronischer Schmerz sei nicht heilbar; dementsprechend ist es auch der Schmerzpatient nicht, so Hofacker. "Aber wir können die Beschwerden erheblich verringern und dadurch die Lebensqualität verbessern", sagt er.

    Am Anfang einer Schmerztherapie steht laut Hofacker immer eine medikamentöse Behandlung mit Mitteln wie Morphin (Mohnsaft). Wenn die nicht greift oder die Nebenwirkungen zu stark sind, setzt der Chefarzt seit dem Jahr 2007 auf den Eiweißstoff Ziconotid der Kegelschnecke (siehe Infokasten), der nur über eine Pumpe verabreicht werden kann. Als Tablette könnte das Medikament nicht wirken, weil das Eiweiß im Magen-Darm-Trakt gespalten würde.

    Medikamentenpumpe kostet um die 4100 Euro

    Die kleine Pumpe in Schützes Bauchbereich hat einen Durchmesser von rund sieben Zentimetern und kostet um die 4100 Euro. Sie gibt das Schmerzmittel kontinuierlich ab und befördert es über einen kleinen Schlauch - er verläuft ebenfalls unter der Haut - direkt in einen Wirbelkanal hinter dem Rückenmark. Das Schneckeneiweiß hat laut Hofacker im Vergleich mit anderen Schmerzmitteln wesentlich weniger Nebenwirkungen wie Schwindel, Seh- und Denkstörungen; es gebe keine Todesfälle und Dauerschäden.

    Alle drei Wochen lässt Schütze seine Pumpe von Hofacker auffüllen. Im Monat kostet diese Form der Behandlung rund 1000 Euro. Sie wird von der Krankenkasse bezahlt und "liegt im Rahmen einer oralen Schmerztherapie", wie Hofacker sagt.

    Schützes Frau Karin spricht mit Blick auf die vielen Behandlungsversuche ihres Mannes von einer "Odyssee". "Irgendwann sagten uns die Ärzte: Es gibt nichts mehr, was helfen kann." Aber: So schnell komme man von Ausweglosigkeit zurück zur Hoffnung.

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