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Schloss Neuschwanstein: Nach einem Jahr öffnet heute die Marienbrücke

Nach Sanierung

Schloss Neuschwanstein: Nach einem Jahr öffnet heute die Marienbrücke

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    Schloss Neuschwanstein: Nach einem Jahr öffnet heute die Marienbrücke
    Schloss Neuschwanstein: Nach einem Jahr öffnet heute die Marienbrücke Foto: Jörg Schollenbruch

    Schloss Neuschwanstein zieht jeden Tag tausende Besucher an. Den besten Blick auf das Schloss hat man hoch oben über der Pöllatschlucht. Zwölf Monate lang wurde der Steg saniert. Eine Geschichte über 44 Meter Nervenkitzel, enttäuschte Urlauber und eine wagemutige Königin.

    Mein lieber Mann, hatte die Frau Nerven! "Stellen Sie sich folgende Situation vor", sagt Magnus Peresson, Chef des Historischen Vereins Alt-Füssen - und sein Kichern deutet an, wie wichtig ihm diese Anekdote ist. Also: Da steht Bayerns Königin Marie, zarte 25 Jahre jung, Bergsteigerin, ja Draufgängerin, an der Baustelle der neuen Marienbrücke in Hohenschwangau.

    Es ist das Jahr 1850, die erste Konstruktion aus dem Jahr 1842 muss ersetzt werden. Marie macht sich ein Bild von den Arbeiten. Sie ist in Begleitung eines Herrn aus der Delegation ihres Schwagers, des griechischen Königs Otto, der gerade zu Besuch ist. Dann passiert’s.

    Vor ihr: das Baugerüst, darauf auf 44 Metern Länge zwei Reihen Bohlen, zusammen 75 Zentimeter breit, kein Geländer. Unter ihr: die Pöllatschlucht mit dem markanten Wasserfall, 90 Meter tief. Erst sagt die junge Königin sinngemäß zu sich: "Ob es mich wohl trägt?" Dann zum Füssener Maurermeister Franz Fichtl: "Nicht wahr, Herr Maurermeister, Sie begleiten mich doch."Gesagt, getan. Schritt für Schritt. Links und rechts: der Tod.

    Neuer Boden, anderer Zugang und ein Drehkreuz

    "Das müssen Sie sich mal vorstellen", sagt Peresson noch einmal, mit der Begeisterung eines Hobby-Historikers, der stolz darauf ist, auf einen richtigen Schatz gestoßen zu sein. Um es abzukürzen: Sowohl die Königin als auch der Fichtl Franz haben den waghalsigen Ausflug über das Provisorium überlebt.

    Würden sich heute weniger Leute auf die Brücke wagen, hätten sie die Geschichte schon mal gehört? Wahrscheinlich nicht. Der Blick von hier auf Schloss Neuschwanstein, den Forggensee und das Hinterland des Ostallgäus ist einfach zu gut, zu verführerisch für die Hunderttausenden, die jedes Jahr die Königsschlösser besuchen und die nahe Marienbrücke als Zugabe mitnehmen - natürlich mit Geländer.

    Man hört davon, man liest davon, ist aber vielleicht nicht auf dem neuesten Stand. Fährt hin. Schaut sich um. Gestern beispielsweise. "Marienbrücke" steht in weißer, geschwungener Schrift auf den blauen Bussen, vor denen die Menschen Schlange stehen. Neuschwanstein ist nur ein paar Minuten Fahrzeit entfernt. Dann: Endhaltestelle. Schloss: toll, great, fantastico. Und die Marienbrücke? Von wegen. Stattdessen meterlange Bauzäune, Warn- und Verbotsschilder, eine große Tafel, auf der steht: Der Freistaat Bayern saniert.

    Julian Stitz und Rebecca Gies aus Fulda in Hessen sind ein kleines bisschen auch wegen der Brücke hergekommen. "Ich war zwar schon öfter da", sagt der 20-Jährige. Aber jetzt im Urlaub wollte er mal seiner gleichaltrigen Freundin die atemberaubende Aussicht zeigen. Dass sie diese Chance nun um einen Tag verpassen, ist ärgerlich. Auf der anderen Seite: "Vielleicht kommen wir noch einmal", sagt Stitz.

    Auf den Tag genau ein Jahr lang also Tourismus . Das spektakuläre Bauwerk hat einen neuen Bodenbelag erhalten, Zugangswege wurden verändert, ein Drehkreuz soll künftig regeln, wie viele Personen sich darauf aufhalten.

    Anfangs war von 365.000 Euro Kosten die Rede. Aber es gab Verzögerungen, weil man aus Sicherheitsgründen auch noch an den Felsankern Hand angelegt hat. So aufwendig saniert wurde die Brücke zuletzt vor 35 Jahren. Wie teuer das Ganze am Ende geworden ist, soll erst heute bei der Wiedereröffnung bekannt gegeben werden.

    Die ganze Zeit über war nur ein Blick aus der Ferne möglich. Fotos von der Brücke gingen erst kürzlich durch die Medien, als die Polizei auf der Suche nach zwei verschwundenen chinesischen Urlaubern auch die Pöllatschlucht durchforstete. Ohne Ergebnis. Bis heute tappen die Behörden im Dunkeln.

    Nun dürfen Touristen die Brücke wieder betreten. CSU-Minister Markus Söder gibt sie am Nachmittag frei. Söder deshalb, weil sein Finanzressort für die Verwaltung der bayerischen Schlösser zuständig ist. Außerdem verspricht der Termin einige schöne Fotomotive, wogegen der Franke erfahrungsgemäß selten etwas einzuwenden hat.

    Viel gibt es für die Arbeiter gestern offenkundig nicht mehr zu tun. Nur ein paar Hammerschläge sind zu hören. Je mehr man sich Neuschwanstein nähert, desto lauter wird es, desto größer wird der Trubel. Der ganz normale Wahnsinn im Hochsommer. Brücke hin, Brücke her, das Märchenschloss zieht.

    Mittendrin: ein singender Kay Reinhardt. Der Mittfünfziger hat am Wegesrand ein schattiges Plätzchen gefunden. Er steckt in einem historischen Kostüm mit braunem Hut, Wollsocken und Sandalen und hat seine hölzerne Drehleier auf dem Schoß. Ein weiterer Hut liegt vor ihm auf dem Boden, ein paar silberne und goldene Münzen liegen darin.

    Seit 2007 spielt der Künstler aus Rott am Lech im Kreis Landsberg hier oben altertümliche Lieder. Jahrelang hatte er einen festen Platz nahe der Marienbrücke. Bis die Schlossverwaltung ihm 2014 das Musizieren verbot.

    Dass rund um Neuschwanstein weder Sänger auftreten, noch Maler ihrem Geschäft nachgehen dürfen, konnte der frühere Museumsleiter und freie Journalist nicht nachvollziehen. Er reichte eine Petition im Landtag ein und hatte schließlich Erfolg: . Ganz vom Tisch, sagt Reinhardt, sei die Sache aber bis heute nicht. Es gebe noch immer Diskussionen zwischen Schlossverwaltung und Künstlern.

    In den letzten Monaten war sowieso vieles anders. "Wegen der Einschränkungen und großen Verbotsschilder ist die Stimmung ein bisschen schlechter", sagt Reinhardt. Es seien spürbar weniger Touristen unterwegs. Dass aus Sicherheitsgründen auch die Pöllatschlucht gesperrt ist und eine bekannte Wanderroute über den Tegelberg und die Marienbrücke so lange nicht begehbar war, "ist eigentlich eine Katastrophe".

    Ist das wirklich so? Weniger Touristen wegen der gesperrten Brücke? Thomas Günter, Marketingleiter des Wittelsbacher Ausgleichsfonds, will das nicht bestätigen. Zwar würden viele Menschen seit den Anschlägen von Paris im November Sehenswürdigkeiten meiden, "aber mit der Marienbrücke hat das überhaupt nichts zu tun".

    Ach, die Marienbrücke. "Viele verliebte Paare haben am Geländer Schlösser mit ihren Initialen zurück gelassen", sogenannte Liebesschlösser, erzählt Kay Reinhardt, der Sänger, der in den vergangenen Jahren so manchen romantischen Moment aus der Nähe miterlebt hat. Kurz vor der Schließung im August 2015 beispielsweise ist ein Paar extra aus Kolumbien angereist, um dort oben seine Hochzeit zu zelebrieren.

    Passt ja auch zur Geschichte. Der spätere König Maximilian II. hat den hölzernen Steg 1842 nicht nur bauen lassen, weil er den Weg hoch zum Schwangauer Hausberg, dem Tegelberg, verkürzen wollte. Die Brücke war auch ein Geschenk für seine Braut Marie, die er im selben Jahr heiratete. Am letzten Tag der Flitterwochen, am 17. Dezember, wurde das Bauwerk eingeweiht.

    Die weiteren Etappen kann Füssens Heimatforscher Peresson im Schlaf herunterbeten: 1850 Brücke Nummer zwei, 1866 Nummer drei, eine neuartige Eisenkonstruktion, in Auftrag gegeben von "Technik-Freak" Ludwig II., Maries Sohn, gebaut von der Vorgängergesellschaft der heutigen MAN.

    Die Einwohner sagen: Zeit wird's

    Zu einer Zeit, als der Märchenkönig Neuschwanstein zwar schon im Kopf hatte, die Grundsteinlegung aber erst drei Jahre später erfolgte. Der traumhafte Blick von der Brücke aufs Schloss war da also noch Illusion. 1978 schließlich ein weiterer Neubau. Und jetzt die Großsanierung.

    "Zeit wird’s", sagt Axel Rohrbach drunten im Hauptort Schwangau. Tagsüber, sagt der Mann, meide er ja gerne den "Hype" rund um die Schlösser. "Aber das ist schon ein toller Ort, an den man seine Gäste führt oder wo man mit der Familie Fotos für die Oma macht." Auch dem gebürtigen Schwangauer Georg Orthuber hat die Marienbrücke gefehlt. Nicht nur, weil sie wichtig für den Tourismus in der Region sei. "Sie gehört zu Schwangau und zum Schloss einfach dazu."

    Wie die vielen, vielen Geschichten darüber auch. Ludwig, so erzählt man sich, soll gerne mal alle Kerzen im Schloss angezündet haben, um dann von der Marienbrücke aus den Blick auf das erleuchtete Gebäude zu genießen. Oder: Eine Verehrerin soll auf der Brücke gewartet haben, bis der König eine Kerze ans Fenster stellt - als Zeichen seiner Zuneigung. "Die Geschichte allerdings", sagt Magnus Peresson, und kichert dann wieder, "die muss man nicht wirklich glauben."

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