Von Vitalis Held, Marktoberdorf/Ostallgäu Als er mit 23 Jahren Kreisgeschäftsführer des Roten Kreuzes in Marktoberdorf wurde, war Erwin Stockmaier der jüngste Kreisgeschäftsführer in Bayern. Nun, 38 Jahre später, ist er der Dienstälteste. Heute steht seine offizielle Verabschiedung an, am Freitag hat der 61-Jährige Rotkreuzler aus Überzeugung seinen letzten Arbeitstag. Mit dem Namen Stockmaier ist die Entwicklung des Roten Kreuzes im Ostallgäu vom 15-Quadratmeter-Büro zum 'Sozialkonzern' mit 635 Beschäftigten und 25 Millionen Euro Jahresumsatz verbunden. Wie alles anfing? Auf diese Frage kann Stockmaier sehr präzise antworten. Als er 15 Jahre alt war, rettete er einen Buben am Ettwieser Weiher bei Marktoberdorf vor dem Ertrinken. Damit erwachte sein Drang, anderen Menschen zu helfen. 1957 trat er der Wasserwacht bei, wenig später gehörte er auch der Sanitätskolonne an, er wurde Erste-Hilfe-Ausbilder, absolvierte die Sanitäter-Ausbildung und übernahm Aufgaben im Roten Kreuz.
Gelernter Kaufmann Doch die berufliche Ausbildung ging in eine andere Richtung: Großhandelskaufmann lernte Stockmaier, danach war er Justizassistent und die Beamtenlaufbahn schien vorgezeichnet. Doch Clemens Kessler, der damals das BRK leitete, hatte die Talente des jungen Mannes erkannt, als 1965 die Stelle des Kreisgeschäftsführers vakant wurde. Er bekniete Stockmaier und schließlich übernahm dieser die Geschäftsführung im Kreisverband. 'Ich sah die Chance, meine erlernten Berufe im kaufmännischen und im rechtlichen Bereich mit meinen Hobbys beim Roten Kreuz zu verbinden', blickt er zurück. Seither erlebt er einen rasanten Wandel im Sozialbereich: 1965 hatte der damalige Kreisverband Marktoberdorf gerade mal zwei hauptamtliche Fahrer für Krankentransporte, zum Einsatz eilten ehrenamtliche Helfer herbei. Heute geht ohne berufliche Rettungsassistenten nichts mehr. Für den Rettungsdienst mit Bereitschaft in Buchloe, Füssen, Obergünzburg, Kaufbeuren und Marktoberdorf sind heute 65 Hauptamtliche im Einsatz. Die hoch qualifizierten Assistenten der Notärzte seien angesichts des medizinischen-technischen Fortschritts auch nötig, betont Stockmaier. Dadurch hätten sich die Überlebenschancen enorm erhöht. Trotz dieser Professionalisierung war ihm aber stets auch das Ehrenamt enorm wichtig. '24 Prozent der Vorhaltezeit im Rettungsdienst decken wir mit Ehrenamtlichen ab', ist Stockmaier stolz, damit, so fährt er fort, 'liegen wir in Bayern ganz vorne'. Doch auch die Ehrenamtlichen sind hoch qualifiziert: Ein Rettungssanitäter, der auch Krankentransporte durchführt, absolviert 520 Ausbildungsstunden. Von den 20000 Mitgliedern im BRK-Kreisverband sind immerhin 2000 aktiv: 1400 bei der Wasserwacht, 600 im Bereitschaftsdienst und im Jugendrotkreuz. Notfallrettung ist heute aber nur ein 'kleiner' Bereich im BRK. In fünf Seniorenheimen betreut man 470 meist pflegebedürftige Menschen, in zwei weiteren Heimen leben 100 Behinderte. Hinzu kommt noch die Sozialstation in Marktoberdorf und eine Reihe von sozialen Beratungsstellen, wie der Offenen Behindertenarbeit. 'Ich bin in meine Aufgabe reingewachsen und an meinen Aufgaben gewachsen', meint Stockmaier. Seine 'Feuertaufe' war 1972: Am 9. Februar starben bei einem Zugunglück nahe Aitrang 28 Menschen, 46 wurden schwer verletzt. 'Die schrecklichen Bilder der verstümmelten Leichen habe ich immer noch vor Augen', sagt der damalige Einsatzleiter. Mit den seelischen Folgen mussten die Helfer ohne Unterstützung klarkommen, Kriseninterventionsteams, die heute unentbehrlich sind, gab es noch nicht. 'Hier bot mir vor allem meine Frau und meine Familie Halt.' Für diese Familie, Frau, zwei Töchter und zwei Enkel, wünscht sich Stockmaier in der nun beginnende Altersteilzeit mehr Zeit. Oft genug mussten sie bei einer 60-Stunden-Woche auf den Mann und Vater verzichten. Zeit will er sich dann aber auch für die vielen Dinge nehmen, die in den vergangenen 38 Jahren zu kurz kamen, das Skifahren im Winter und das Reisen, sein Motorrad. Weiterhin will er im Roten Kreuz mitarbeiten und seine langjährige Erfahrung zur Verfügung stellen. Doch aus dem Beruf wird nun wieder Ehrenamt.