Schon Luis Trenker schwärmte vom Riedberger Horn. Nun entzweit der Berg Bürgermeister und Naturschützer. Sollen zwei Skigebiete zu einem gemeinsamen Super-Skigebiet ausgebaut werden? Die Staatsregierung muss entscheiden. Problem dabei: Sie ist sich auch nicht einig.
An schönen Tagen reicht der Blick vom Gipfel bis zum Bodensee. In der Ferne erkennt man die Schweizer Schesaplana, im Süden den Allgäuer Hauptkamm und die hellen Kalkwände des Gottesackerplateaus. Thomas Frey ist begeistert von dieser Gegend. Er steht am Gipfelkreuz des Riedberger Horns.
Mit 1787 Metern Höhe ist der Berg die höchste Erhebung der Hörnergruppe im südlichen Oberallgäu. Als 'Deutschlands schönsten Skiberg' hat kein Geringerer als Bergsteigerlegende Luis Trenker das Horn einmal bezeichnet - welch ein Kompliment für einen eigentlich doch eher unscheinbaren Grasberg.
Seit geraumer Zeit sorgt das Riedberger Horn in der bayerischen Landespolitik für heftigen Diskussionsstoff. Genauer gesagt: die Idee für die Zusammenlegung der Skigebiete Balderschwang und Grasgehren am Riedbergpass.
Zwei neue Bahnen müssten gebaut werden, die zwar nicht direkt bis zum Gipfel führen, wohl aber die Schutzzone C des Bayerischen Alpenplans berühren. Dort sind laut Verordnung eigentlich jegliche Erschließungen für den Tourismus sowie der Bau von Straßen oder anderen Verkehrswegen tabu.
Früh am Morgen ist Thomas Frey mit seinem Begleiter vom Skigebiet Grasgehren auf das Riedberger Horn gestiegen. Was für eine Ruhe hier herrscht! Nur ab und zu ist das Läuten der Kuhglocken zu hören. Oder das Summen der Bienen und Insekten an den vielen bunten Sommerblumen.
Der Regionalreferent des Bundes Naturschutz schwärmt vom 'Biotopcharakter' der begrünten Bergflanken. Die Heidelbeer- und Alpenrosenbestände, die Grünerlen und andere Zwergsträucher bilden zusammen mit Hochlagenmooren nach seinen Worten den idealen Lebensraum für viele Tiere, etwa für Birkhühner.
An zwei parallel verlaufenden Schleppliften vorbei schlängelt sich der Weg in die Höhe. Wenn es nach den Plänen des Liftbetreibers und früheren Skirennfahrers Berni Huber geht, werden diese beiden alten Anlagen abgerissen. Dafür soll eine hochmoderne Zehner-Sesselbahn die Wintersportler nach oben bringen. So weit, dass sie dann auch auf der anderen Seite über neue Pisten bis nach Balderschwang fahren können. Und natürlich wieder zurück - mit einer weiteren neuen Sesselbahn.
Umweltverbände wie der Bund Naturschutz, der Deutsche Alpenverein und die Alpenschutzorganisation CIPRA halten die Pläne für fatal. Inzwischen steht das Riedberger-Horn-Projekt exemplarisch für den Streit der verschiedenen Interessengruppen über den Umgang mit Natur und Landschaft, über den Sinn des Skitourismus in den Alpen, über die Zukunft des Wintersports angesichts der globalen Erwärmung.
Wenn der Skigebiets-Zusammenschluss realisiert würde, müssten sechs Hektar Bergwald gerodet werden, sagt Geograf Frey. Seine Organisation hält die Pläne für nicht genehmigungsfähig. Das hatte man in den vergangenen Jahren auch im Oberallgäuer Landratsamt so bewertet. Doch dann brachte irgendjemand ein Zauberwort in die Diskussion ein.
Das heißt: Zielabweichungsverfahren. Klingt verdammt bürokratisch, meint aber eigentlich etwas ganz Einfaches: Unter gewissen Umständen ist es möglich, von der strengen Grenzziehung der Schutzkorridore im Bayerischen Alpenplan abzuweichen. Wenn, ja wenn ein entsprechendes öffentliches Interesse besteht.
Umweltschützer hingegen befürchten eine Aufweichung der Schutzkategorien im Alpenraum. Dann würden andere, bisher für unmöglich gehaltene Seilbahnprojekte wieder aktuell. Geplant war beispielsweise früher einmal, auf den Watzmann bei Berchtesgaden eine Seilbahn zu bauen. Das Projekt wurde nie realisiert.
Eine Folge aber war, dass der Bayerische Alpenplan entwickelt wurde. Die Bürgermeister der betroffenen Gemeinden in der Hörnergruppe wiederum sind sich in der Einschätzung einig, dass eine Verbindung der beiden Skigebiete unabdingbar ist. Obermaiselstein am Fuße des Riedbergpasses und Balderschwang auf der anderen Seite lebten 'zu 50 Prozent vom Wintertourismus', argumentiert der Obermaiselsteiner Bürgermeister Peter Stehle.
Gerne verweisen die Projektbefürworter auf Beispiele in den österreichischen Nachbar-Bundesländern Tirol und Vorarlberg. Ein Vorhaben nach dem anderen wurde dort durchgewunken. Zumeist waren es Verbindungen von Skigebieten. Das Angebot müsse sich nach dem Gast richten, heißt es in der Seilbahnbranche. Und der wolle möglichst viele Pistenkilometer.
Folglich heißt das Rezept: Vorhandene Skigebiete miteinander verbinden. Edgar Rölz, Bürgermeister von Fischen und Chef der Verwaltungsgemeinschaft Hörnergruppe, ärgert sich: 'In Sachen touristische Entwicklung dürfen Österreich und Südtirol offensichtlich alles. Aber bei uns ist nichts möglich.'
Bereits Anfang des Jahres haben die Gemeinden Balderschwang und Obermaiselstein das erforderliche Zielabweichungsverfahren formell beantragt. Und weil es sich um eine Frage der Landesplanung handelt, landete der Antrag im Ministerium von Markus Söder, der eigentlich für die Finanzen zuständig ist, aber auch das Heimatministerium leitet.
Der Bund Naturschutz sei nicht generell gegen das Skifahren, betont Regionalreferent Frey. Gleichermaßen zieht die Organisation geradezu gebetsmühlenartig in jedem Winter gegen Schneekanonen und den alpinen Skisport zu Felde. Auf der anderen Seite argumentieren die Liftbetreiber: Ohne Kunstschnee ist ein Skigebiet heute nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben.
Balderschwang und Obermaiselstein gehörten zu den schneesichersten Ecken Bayerns, sagt Obermaiselsteins Bürgermeister Stehle. Dort sei, wie an Fellhorn und Nebelhorn, trotz Klimaerwärmung auch in einigen Jahrzehnten noch Wintersport möglich, zitiert der Rathauschef eine Studie des Deutschen Alpenvereins. 'Da wäre es doch eine Schande, das Gebiet nicht zu modernisieren', findet Stehle.
Naturschützer Frey deutet auf einen kleinen Stadel. 'Da, unterhalb davon, sind die zentralen Birkwild-Balzplätze.' Als 'Quellgebiet' der Birkhühner bezeichnet der Immenstädter Wildbiologe Albin Zeitler die Hänge des Riedberger Horns. Will heißen: Hier kommen weit mehr Tiere zur Welt, als dort später leben. Folglich suchen sie sich neue Lebensräume. Für entsprechend wichtig halten Wildbiologen den Schutz solcher Quellgebiete für den Erhalt gefährdeter Arten.
So richtig angefeuert wurde der Streit ums Riedberger Horn vor rund drei Wochen. Da informierte Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf offensichtlich zuerst die Medien darüber, dass sie das Projekt aus fachlichen Gründen nicht befürworten könne. CSU-Parteifreunde vor Ort fühlten sich brüskiert. Die Ministerin hätte zumindest erst die betroffenen Bürgermeister informieren müssen. In der Sache sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, sagte Landtags-Fraktionschef Thomas Kreuzer aus Kempten.
Die Stellungnahme aus dem Umweltministerium werde noch geprüft, sagt eine Sprecherin des Finanzministeriums. Als Fachbehörden in das Zielabweichungsverfahren eingeschaltet sind zudem das Wirtschaftsministerium, das das Projekt im Sinne des Tourismus begrüßt.
Das Landwirtschaftsministerium macht dem Vernehmen nach Bedenken geltend, weil mehrere Hektar Bergwald - die Rede ist von sechs - gefällt werden müssten. Das Umweltministerium hat auch geologische Probleme angeführt. Es könne zu verstärkter Bodenerosion durch das Bauprojekt kommen.
Das Finanzministerium hat die betroffenen Kommunen nochmals zu Stellungnahmen aufgefordert. Vor der Sommerpause des Kabinetts - die beginnt in zwei Wochen - werde es wohl keine Entscheidung mehr geben, sagt die Sprecherin des Ministeriums. Und wann wird die Sache dann entschieden - so oder so? Die Frau zuckt mit den Schultern.
In den Hörnerdörfern jedenfalls geht man davon aus, dass wohl die ersten Schneeflocken fallen werden, wenn der Beschluss in München fällt. Das kann oben auf 'Deutschlands schönstem Skiberg' durchaus schon im Oktober sein.