Kempten (pa). - Eine solch dramatische Situation hat man in Kempten seit Menschengedenken nicht mehr erlebt. Hunderte von Menschen wurden gestern vorsorglich evakuiert, während die Iller den ganzen Tag über stieg und stieg - sogar bis über den Stand des Jahrhunderhochwassers an Pfingsten 1999 hinaus. Schon um 12 Uhr mittags musste Wolfgang Klaus, der Leiter des Krisenstabes, bekennen: 'Technisch sind alle Schutzmaßnahmen ausgeschöpft. Wenn der Fluss noch weiter ansteigt, wird die Altstadt überflutet.' Ursprünglich war, wie berichtet, die Hochwasserspitze bereits in der Nacht zu Dienstag erwartet worden. Ein kompletter Trugschluss, wie sich zeigte. Deshalb wurde gestern Morgen um 5.32 Uhr für die Stadt Katastrophenalarm ausgelöst. Insgesamt rund 600 Helfer von Feuerwehr, Technischem Hilfswerk, Polizei, Bundeswehr und Sanitätsdiensten waren den ganzen Tag über im Einsatz. Am späten Nachmittag wurden weitere Kräfte aus Baden Württemberg zur Unterstützung hinzugezogen. Schwerstes Gerät der Bundeswehr und ein technischer Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes standen für den äußersten Notfall bereit. Den befürchtete man vor allem für den Fall, dass die Fußgängerbrücke in der Rosenau (bei der ehemaligen Spinnerei und Weberei), bei der sich viel Treibgut angesammelt hatte, zusammenbrechen würde. 'Wenn deren Trümmer gegen die St.-Mang-Brücke geschwemmt werden und dort den Durchfluss verstopfen,' so Klaus, 'kommt es schlagartig zu einer Überschwemmung.' Deshalb waren in den besonders bedrohten Bereichen - beim Hotel Bayerischer Hof und einem Heim für integriertes Wohnen an der Brennergasse - bereits frühzeitig etwa 200 Menschen evakuiert und in die Big Box gebracht worden. In dieser Sammelstelle fanden sich auch weitere Bürger ein. Denn die Verantwortlichen hatten Illeranwohner vom Alten Holzplatz im Süden bis zum Augarten- und Gottesackerweg im Norden per Lautsprecher aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen oder zumindest die oberen Stockwerke aufzusuchen. Zu den möglichen Betroffenen einer Überschwemmung zählte Klaus weit über 1000 Kemptener. Zusätzlich wurde am Abend sicherheitshalber auch noch die Evakuierung des Wilhelm-Löhe-Hauses und des Bezirkskrankenhauses im Freudental sowie der Seniorenbetreuung Altstadt eingeleitet.
Neue Mauern reichten ganz knapp Der Rekordflut - mit 6,42 Meter um 15.15 Uhr übertraf der Pegel deutlich den Höchststand an Pfingsten '99 mit 6,21 Meter - hielten die neuen Schutzmauern entlang der Iller stand, wenn auch nur ganz knapp. Denn hätte man nicht zusätzlich Sandsäcke drauf gepackt, räumte Klaus ein, wären die reißenden Fluten übergeflossen. Weiter nördlich gelegenen Einrichtungen wie dem Krematorium oder dem Gruppenklärwerk nützten die Schutzbauten freilich nichts. Erst um 17 Uhr zeigte der Pegel mit 6,31 Meter leicht fallende Tendenz. Was aber, wie Wolfgang Nitsche von der Polizei beklagte, noch keineswegs die 'Katastrophentouristen' vertrieb, die den ganzen Tag über die Helfer behindert hatten.