Am 27. April 1945 teilen die Amerikaner die Kriegsgefangenen im Lager Helfta bei Eisleben in zwei Gruppen auf. Ein junger Mann aus Steinheim will auf den Lastwagen, auf dem seine Freunde sitzen. Doch dort ist kein Platz mehr. Ein amerikanischer Soldat prügelt so lange auf den Gefangenen ein, bis er ein anderes Fahrzeug besteigt. Das hat ihm das Leben gerettet, ist der Steinheimer heute überzeugt. Seine Freunde kommen in Gefangenschaft nach Russland, er wird nach Bad Kreuznach gebracht und kehrt schon bald in die Heimat zurück.
Der junge Mann von damals ist jetzt 85 Jahre alt. Georg Rehklau darf sich inzwischen Ehrenbürger der Stadt nennen, in der es das Schicksal einst so gut mit ihm gemeint hat. Aus Dankbarkeit, den Krieg überlebt zu haben, leistete der Zimmerermeister aus dem Stadtteil Steinheim ungezählte Arbeitsstunden und sanierte mit Freunden den maroden Dachstuhl der Eislebener Nicolaikirche - ohne dafür Geld zu verlangen. Schon vorher hatte Memmingen eine Städtepartnerschaft mit der 25000-Einwohner-Kommune geschlossen. Diese Verbindung besteht jetzt seit 20 Jahren. Zum Tag der Wiedervereinigung reist eine Memminger Delegation in die Geburtsstadt Luthers, um dieses Jubiläum zu feiern.
Vorgeschichte der Partnerschaft
Versuche, mit Eisleben in Kontakt zu kommen, reichen zurück bis ins Jahr 1986. Noch vor dem Fall der Mauer schrieb SPD-Stadtrat Herbert Müller einen Brief dorthin, erhielt aber keine Antwort aus der Lutherstadt. Auf die Idee, es mit Eisleben zu versuchen, hatte ihn ein Memminger Café-Betreiber gebracht, der von dort kam. Im November 1989 fiel das grausame Band aus Beton, das die Welt in zwei feindliche Lager geteilt hatte. Bereits an Dreikönig 1990 machte sich eine kleine Memminger Gruppe in zwei Privatautos auf den Weg nach Eisleben.
"Die Leute winkten uns zu"
In der DDR sei ein "ganz starker Wunsch nach Wiedervereinigung" zu spüren gewesen, erzählt der damalige Landtagsabgeordnete Müller. Als die Memminger mit ihren Westautos durch Dörfer fuhren, "winkten uns die Leute zu". Nach den Tagen in Eisleben habe es für die Delegation keinen Zweifel daran gegeben, dass Memmingen eine Städtepartnerschaft anstreben sollte. Noch im selben Jahr wurde die Verbindung besiegelt.
Gerd Böhler war damals der Memminger Partnerschafts-Beauftragte. Er erinnert sich an das Eislebener "Einheitsgrau, es gab keine bunten Fassaden". Fenster waren mit Brettern vernagelt, "ein trister Anblick". Den damaligen Zustand der Nicolaikirche beschreibt Rehklau so: "Das Dach war eingebrochen, die Fenster waren kaputt." Er entschied sich zu helfen - und entwickelte eine bemerkenswerte Ausdauer.
Zwischen 1991 und 1997 engagierte er sich für den Wiederaufbau. Noch immer hält er regen Kontakt mit Eisleben. Bereits morgen fährt Rehklau wieder dorthin. In der Lutherstadt steigt ein großes Fest, da muss der rüstige Ehrenbürger dabei sein. Mit einer Schreibmaschine hat er die Fahrten in die Lutherstadt dokumentiert, am Ende der Liste steht die Zahl 158. Doch das sind noch nicht einmal alle, die Aufzeichnungen enden im Jahr 2005.