Von Andrea Schauerte|Seeg/PfrontenHeute ist Siebenschläfer - 'Das Wetter am Siebenschläfertag noch sieben Wochen bleiben mag'. Dies dürfte die einzige Bauernregel in Reimform sein, die Pius Lotter nicht kennt - ausgerechnet die für den Tag, an dem er vor 85 Jahren geboren wurde. 'Nicht einmal meine Mutter kannte eine. Und die hat eigentlich alle gewusst', erinnert sich der Kräuterpapst, Brauchtumswahrer, Erhalter der Muttersprache und Kämpfer für das Allgäu. Zum Geburtstag sprachen wir mit Pius Lotter über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, über Angenehmes und Unangenehmes.
'Das Allgäu ist mein Leben'
Wie feiern Sie denn heute diesen Geburtstag?
Lotter: Meine Frau und ich fahren ein paar Tage weg, unsere Jüngste hat alles organisiert und 'verräumt' uns. Heute Nachmittag führe ich aber noch eine Kräuterwanderung in Nesselwang. Das ist wichtig, dass die Leute die Natur kennenlernen, auch an einem Geburtstag.
Wenn Sie wegfahren, darf das aber nicht weit weg vom Allgäu sein, oder?
Lotter: Ich fahre gern weg, war sogar auf Madeira, Sizilien, Kreta, wegen der Geschichte und der Natur. Aber ich fahre nur weg, wenn ich weiß, dass ich wieder zurückkomme. Denn das Allgäu ist meine Heimat, mein Leben. Und das habe ich schon vertreten, da wussten die Leute noch nicht mal, wie man Allgäu schreibt.
Damals sah das Allgäu wahrscheinlich noch anders aus als heute.
Lotter: Allerdings. Dieses Allgäu wird ja heute vermarktet, dass es nicht mehr schön ist. Heute werden wir erschlossen vom Berg bis hinab ins Moos. Das ist aber der falsche Ansatz. Das Allgäu braucht das eigentlich nicht. 1000 Jahre lang haben die Bauern diese Kulturlandschaft geschaffen. Und in 50 Jahren wird sie kaputt gemacht. Die Landwirte werden gezwungen, Milchwirtschaft im großen Stil zu betreiben. Dann gehen diese großen Höfe kaputt - und mit ihnen die Natur.
Da hört man jetzt das Stichwort 'sanfter Tourismus' durch, oder?
Lotter: Genau das ist es. Zwei Drittel Natur, ein Drittel Wirtschaft, das wäre das richtige Maß. Wir brauchen weiterhin die Kleinbauern hier und wir brauchen die Gäste. Aber diese Gäste sollten Familien sein. Die wissen Natur und Natürlichkeit zu schätzen, vor allem die Kinder. Und denen muss man frühzeitig beibringen, was Natur bedeutet. Wenn ich im Schwangauer Kindergarten Kräuterführungen mache, dann ist das jedes mal ein großartiges Erlebnis.
Diese Liebe zur Natur vermitteln heute ja schon viele Naturführer mit besonderer Ausbildung.
Lotter: Es gibt immer noch zu wenig ausgebildete Leute, die diese Aufgabe schon in den Kindergärten übernehmen. Ein jeder ist heutzutage ein Spezialist für Natur und Naturschutz. Es gibt viele Theoretiker, aber die Praktiker fehlen.
Gibt's dafür ein Beispiel?
Lotter: Nehmen Sie den Feuerbrand, diese Geißel Gottes. Hier wird zu spät eingegriffen, und so mancher Baum wird umgetan, ohne dass es oft nötig ist. Die Waldbauern früher sind anders mit solchen Seuchen umgegangen. Die waren nicht so schnell mit der Kettensäge. Die hatten aber auch noch andere, widerstandsfähige Bäume, die hier gezüchtet wurden. Die eingeführten Bäume sind meist nicht so robust wie ein heimisches und hier gezogenes Gewächs.
ein Allgäuer eben!
Lotter: Und das beste am Allgäuer ist eben, dass er eine eigene Meinung hat und einen sturen Grind. Den hat er von der Kuh, denn die liebt er.