Wer auf dem Weg durch das Günztal, zwischen Obergünzburg und Ronsberg, den Blick von der Liebenthanner Schlossmühle über das bewaldete westliche Günzhochufer lenkt, wird keine Türme und Mauerreste der einstigen Hauptburg des Stiftes Kempten entdecken. Der Burgstall auf einem Vorsprung der Höhe, wo Schloss Liebenthann bis vor gut zweihundert Jahren die stiftkemptische Landschaft beherrschte, ist nur noch ein Bodendenkmal. Reste von Tuff, Nagelfluhquadern, Ziegeln und Rollsteinpflaster liegen unter Laub- und Mischwald verborgen.
Jüngst wurde einiges davon im Rahmen archäologischer Grabungen im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Bodendenkmalspflege Thierhaupten ans Licht gebracht. Doch nur für wenige Frühlingstage: "Wir füllen alle Sondierungsschnitte sofort wieder zu, damit kein Mauerwerk durch Frost oder Witterung zerstört wird", erklärt Grabungsleiter Peter Pfister vor Ort. Das Team des Archäologischen Arbeitskreises für das Allgäu, Zeichen- und Vermessungsmannschaften haben die Befunde eine Woche lang in akribischer Arbeit freigelegt, vermessen, gezeichnet und dokumentiert.
Modernste Geräte helfen
An diesem Tag ist ein gutes Dutzend durchwegs ehrenamtlich Tätiger an den elf Grabungsstellen im Einsatz. Mit einem Feldpantografen, im Maßstab 1:20 verkleinert, wird freigelegtes Rollsteinpflaster durch Dominik Sieber zeichnerisch dokumentiert. Modernste Geräte, Tachymeter, Nivelliergerät und Theodolit dienen Walter Keinert und seinem Team beim exakten Vermessen.
Im Halbkreis um einen Gedenkstein, der an die wechselvolle Geschichte von Burg Liebenthann seit dem 13. Jahrhundert erinnert, stehen beschriftete Werkzeugkisten. Pfister deutet auf einen Koffer: "Das ist mein Büro." Der Grabungstechniker leistet die Dokumentation, schreibt Fundzettel, Pläne, Berichte und leitet eine Zusammenfassung davon an das Landesamt. Um an einem Bodendenkmal ausnahmsweise graben zu dürfen, müssen nach dem Denkmalschutzgesetz Genehmigungen eingeholt werden.
Neben dem Landesamt muss die Untere Denkmalschutzbehörde zustimmen. Auch das Forstamt, so Pfister, war einbezogen.
Dass Liebenthann als Burg, Pflegamt, und zeitweise Wohnsitz des Kemptener Fürstabts einen Teil der Kemptener Stadtgeschichte darstellt, macht Prof. Dr. Roland Breitinger deutlich, der den Archäologischen Arbeitskreis für das Allgäu im Rahmen der Volkshochschule Kempten leitet. Auf zwei Fürstabtporträts in der Residenz ist das Schloss abgebildet. Doch daraus, und aus weiteren Darstellungen, lassen sich nur ungenaue, teilweise widersprüchliche Schlüsse auf die tatsächlichen historischen Bauten ziehen. Bei den Grabungen wurden Mauerkanten und der Ansatz von einem der markanten Rundtürme gefunden, jedoch nicht das erwartete zweite Turmfundament. Ansonsten, so Breitinger, "nur Humus und Bauschutt". Der Burgstall sei bereits früher "sehr gründlich abgeräumt" worden.
Den letzten Bauzustand vor dem Abbruch des Schlosses zu Beginn des 19. Jahrhunderts versucht Roger Mayrock, Vorsitzender des Allgäuer Burgenvereins und Leiter des Allgäuer Burgenmuseums auf der Kemptener Burghalde, zu rekonstruieren. Er hat sich der möglichst realitätsnahen zeichnerischen Abbildung historischer Themen verschrieben. Der Versuch, sich Schloss Liebenthann mit den charakteristischen Zwiebelhauben auf seinen Rundtürmen anzunähern, gleiche allerdings einem "Puzzlespiel". Vieles bleibe ein Rätsel.
Wen archäologische Rätsel reizen: Beim Archäologischen Arbeitskreis der Vhs Kempten werden engagierte ehrenamtliche Mitarbeiter gesucht.