Ein großer Krampus- und Perchtenumzug im November: Ist das noch Brauchtum? Oder nur ein Spektakel um des Spektakels willen?
Darüber kann man geteilter Meinung sein, wie die Pro- und Contra-Kommentare (siehe unten) von den AZ-Redakteuren Peter Januschke und Sabine Beck zeigen.
"Beliebig": Kommentar von Peter Januschke
Vieles ist nur noch eines: beliebig. Da regen sich Menschen auf, dass bereits seit September Lebkuchen in den Verkaufsregalen angeboten werden – und beißen herzhaft schon lange vor dem Advent in eben diese Lebkuchen hinein.
Na ja, werden jetzt die Meisten sagen, das soll doch ein Jeder selbst entscheiden. Stimmt! Ob jemand Jahrhunderte alte Traditionen pflegen will oder sie über den Haufen schmeißt, ist Privatsache. Anders ist das meiner Meinung nach bei Jemand, der sich Traditionspflege auf die Fahnen geschrieben hat. Da gilt: Alles hat seine Zeit. Die katholische Kirche gebraucht dieses Bibelwort gerne. St. Martins-Tag ist am 11. November. Die Martinsumzüge auch der kirchlichen Kindergärten finden aber immer öfter an einem beliebigen Termin statt. Einem, der eben am besten in den Terminkalender der Organisatoren passt. Wird dort der Kindergeburtstag auch eine Woche vor dem Termin gefeiert?
Klausentreiben ist traditionell rund um den Nikolaustag am 6. Dezember. Ein Klausenumzug findet in Börwang aber gleich zweimal statt: Zum Traditionstermin und am 22. November beim Spektakel 'Börwang brennt'. Und die Perchten, die auch gleich mitlaufen, sollen eigentlich die bösen Geister des Winters vertreiben. Da hat endgültig gar nichts mehr seine Zeit.
Hier soll keinesfalls das Engagement von Veranstaltern geschmälert werden oder die Chance, Geld in Vereinskassen zu spülen. Doch man muss sich entscheiden: Will man die Tradition hochhalten oder will man Spektakel um des Spektakels willen. Ersteres verträgt sich nicht mit Beliebigkeit.
"Zeitgemäß": Kommentar von Sabine Beck
Traditionen leben durch ihre Beständigkeit und die funktioniert nur durch einen wiederkehrenden Rhythmus. Und Traditionen sind wichtig. Sie geben den Menschen Wurzeln und sie haben oft eine Botschaft. Wie die Geschichte vom Heiligen Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte. Dass Kinder diese Botschaft und den Wert dahinter kennenlernen, ist wichtig. Aber spielt es am Beispiel von St. Martin eine Rolle, ob sie das am 7., 8. oder 11. November tun? Nein. Denn unsere heutige Zeit ist schnelllebig, viele Eltern sind berufstätig. Da ist es nicht verwerflich, die Traditionen etwas zu beugen und den Zeiten anzupassen. Die Alternative wäre, ganz darauf zu verzichten – und das wäre schade.
Dasselbe gilt auch für Veranstaltungen wie das Klausentreiben in Börwang. Der dortige Klausenverein pflegt das Brauchtum. Und das kann er – wie viele andere Vereine – nicht ohne Geld. Da ist es doch gerechtfertigt, mit Spektakeln wie 'Börwang brennt' dafür zu sorgen, dass es mit den Finanzen läuft. Und das traditionelle Klausentreiben fällt ja nicht unter den Tisch. Es gibt halt eine zusätzliche Veranstaltung. Die noch dazu – das hat die Vergangenheit gezeigt – viele Menschen mitzieht und begeistert.
Um Traditionen lebendig zu erhalten, müssen sie – natürlich in einem gewissen Rahmen und sanft – mit der Zeit gehen dürfen. Das schadet ihnen nicht, sondern sichert im Gegenteil ihren Bestand. Auch eine Tradition darf sich entwickeln. Wichtig ist doch, dass sie ihren Inhalt behält. Und das ist nicht abhängig von einem einzelnen Tag.