Von Sabine Beck |KemptenWas geschah am 27. April, dem letzten Kriegstag in Kempten, auf dem St. Mang-Platz? Mussten Kinder dort ihr Leben lassen, weil ein letzter SS-Mann seine Ideologie retten wollte? Das zumindest behauptet - wie berichtet - ein Kemptener. Er spricht von einer nicht kampflosen Übergabe der Stadt an die Amerikaner und will selbst dabei gewesen sein, als die Hitlerjugend am St. Mang-Platz in ein letztes Gefecht geschickt worden sei. Doch was ist dran an der Geschichte? Gab es diesen letzten Kampf gegen die Amerikaner wirklich? Das wollten wir von unseren Lesern wissen. Ihre Antwort: Nein. Bislang meldeten sich zahlreiche Leser bei derAZ, doch niemand kann sich an ein solches Ereignis erinnern. Die Suche nach Zeitzeugen geht weiter.
"Das kann gar nicht stimmen", meint etwa Maria Grötzinger. Die 88-Jährige wohnte damals direkt an der Illerbrücke und erinnert sich daran, wie die Familien ihre weißen Laken als Zeichen der Kapitulation aus den Fenstern hängten. "Ganz kampflos lief alles ab", sagt Maria Grötzinger überzeugt.
"Eine Endschlacht zwischen Hitlerjungen und amerikanischen Soldaten hat es nicht gegeben", meint auch Eduard Neuhauser. 15 Jahre alt war er, als Kempten von den Alliierten besetzt wurde und er weiß noch, dass "ein Mann mit einer Panzerfaust auf einen der amerikanischen Panzer schoss".
Schokolade statt Schüsse
Doch die Amerikaner hätten nicht zurückgeschossen, sondern vielmehr Schokolade und Kaugummis an die Kinder verteilt. "Alle die grausamen Voraussagen, was die bösen (Neger-)Soldaten mit uns machen werden, trafen nicht zu. Jedenfalls wurden in Kempten keine Kinder getötet. In kurzer Zeit fand mit den Amis Verbrüderung statt", schreibt Eduard Neuhauser.
In der Burgstraße, "keine 100 Meter vor der Illerbrücke", wohnte 1945 die Familie Berz. "Unheimlich still" sei es an jenem Tag geworden, nachdem die letzten deutschen Soldaten auf dem Rückzug vorbei marschiert waren - und die US-Truppen kamen, schreibt Hans Berz. Der heute 74-Jährige erinnert sich an eine Detonation, als ein Panzer in der Kaufbeurer Straße getroffen wurde. Auch die Sprengung der oberen Illerbrücke habe eine gewaltige Explosion gegeben.
Gefechtslärm aber habe er keinen gehört - und auch von seinen Altersgenossen habe danach keiner gefehlt.
Wären an jenem Tag Schüsse gefallen, ist sich Anni Rietschel sicher, hätte sie diese von der Villa Wolff in der Kaufbeurer Straße gehört. Bis zum Rathausplatz lief sie am 27. April 1945, "dort war aber nichts Bedrohliches". Und auch Hildegard Seitz, die direkt am St. Mang-Platz wohnte, ist überzeugt, dass sie ein solches Drama mitbekommen hätte. Wie es zu einer solchen Geschichte kommt, ist ihr und vielen anderen schleierhaft.