Marktoberdorf (dec). - Krankenhaus und Pflegeheim sprechen von einem Extremfall: Ein todkranker Patient wurde von der Kreisklinik Marktoberdorf ins Clemens-Kessler-Altenheim verlegt. Dort starb der 87-Jährige vier Stunden später. Seine beiden Söhne versuchten noch, ihrem sterbenden Vater die Verlegung zu ersparen. Doch die Ärzte veranlassten den Transport. Sie handelten nach den Vorschriften der so genannten Diagnose-orientierten Fallpauschalen. Diese steigern laut Dr. Gerhard Krebs, Ärztlicher Direktor der Kreisklinik, den wirtschaftlichen Druck auf Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. 'Der Tod meines Vaters war abzusehen. Eine Verlegung in seinem Zustand hätte man ihm einfach ersparen müssen', sagt ein Sohn des Verstorbenen. Das Gesetz jedoch sagt etwas anderes: Seit dem vergangenen Jahr schreibt es eine Abrechnung über Fallpauschalen, nach australischem Vorbild DRG (Diagnosis Related Groups) genannt, vor.
Entlassung nach Behandlung Die Kreisklinik Marktoberdorf stellte bereits 2003 auf diese Methode um. Sie beinhaltet unter anderem eine Entlassung des Patienten, wenn keine Eingriffe und Behandlungen, sondern nur noch pflegerische Leistungen nötig oder möglich sind. 'Das heißt auch, die Kranken sollen zum Sterben nach Hause geschickt werden. Oft vermeiden wir das aber, besonders wenn Angehörige damit überfordert wären', berichtet Katja Maria Bittner, Verwaltungsdirektorin der Klinik. Darüber hinaus entwickelte das Marktoberdorfer Krankenhaus bereits vor mehreren Jahren ein Konzept mit nachversorgenden Einrichtungen wie Alten- oder Pflegeheimen. Sein Ziel: Dem Patienten eine kontinuierliche Versorgung vom Krankenhaus zum Heimplatz oder nach Hause zu gewährleisten. 'Dadurch können sich alle Beteiligten auf die Übernahme des Patienten vorbereiten. Dieses Konzept ist unsere freiwillige Qualitätssicherung. Wir waren Vorreiter in diesem Bereich', sagt Krebs.
Unnötige Belastung Renate Dauner, Leiterin des Gulielminetti-Heimes bestätigt die gute Kooperation mit dem Krankenhaus. 'Ich hatte bisher nie das Gefühl, dass Patienten von dort abgeschoben wurden. Im Gegenteil, meiner Meinung nach werden die Leuten sehr menschlich und würdig behandelt', schildert sie ihre Erfahrungen. Ihre Kollegin vom Clemens-Kessler-Altenheim sieht das etwas anders. Lieselotte Hempel trifft immer wieder auf Patienten, die zu schnell entlassen wurden. 'Zunehmend kommen Leute zu uns, die noch nicht am Gesunden, geschweige denn gesund sind. Sie müssen oft nach ein oder zwei Tagen zurück ins Krankenhaus. Das ist eine unnötige Belastung für die Patienten', meint die Altenheimleiterin. Das Schicksal des 87-Jährigen bezeichnet jedoch auch sie als Extremfall. Aber Ausnahme oder nicht, die Angehörigen hätten sich etwas mehr Menschlichkeit gewünscht. 'Leider herrscht in den Krankenhäusern heute viel zu viel Kosten-Nutzen-Denken', bedauert der Sohn des Verstorbenen. Er sehe durchaus, dass ein wirtschaftlicher Druck vorhanden sei. Aus diesem Grund wolle er auch keinen persönlichen Rachefeldzug gegen die Klinik. Trotzdem müsse aber doch eine Balance zur Menschlichkeit gefunden werden. In dem Fall sei man definitiv über das Ziel hinausgeschossen, meint er weiter.
Altenheim reagiert mit Fortbildung Grund für die steigende Zahl der frühen Entlassung seien laut Lieselotte Hempel die neuen Gesetze. Man mache sich zu spät Gedanken darüber und könne nicht entsprechend darauf reagieren, sagt sie, sieht den Zustand aber als Herausforderung für die Pflegeheime. Aus diesem Grund werden im Clemens-Kessler-Heim Fortbildungen groß geschrieben. Schmerz- und Wundmanagement stehen hier ganz oben. Mit mehr Kenntnissen darüber können die Pflegekräfte die Patienten künftig besser im Haus versorgen. Außerdem läuft momentan eine Weiterbildung für Überleitungspflegefachkräfte. Dabei wird gewissermaßen ein Vermittler zwischen Krankenhaus und Altenheim ausgebildet.