Dass er als türkisch stämmiges Kind überhaupt die Realschule besucht hat, war purer Zufall, glaubt Bülent Aydin, Vorsitzender des Ausländerbeirats im Kreis Lindau. "Ein Sozialberater aus Kempten hat die Schule meinem Cousin empfohlen und deshalb hielt es auch mein Vater für eine gute Sache", erzählt der 36-Jährige. Erst Jahre später wirft er noch einmal einen Blick in sein Übertrittszeugnis und stellt fest, dass seine Noten sogar für das Gymnasium gereicht hätten.
Diese Geschichte erzählt Bülent Aydin, als er nach der Diskussion um türkische Gymnasien in Deutschland gefragt wird. Dies hat kürzlich der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan in einem Interview mit der "Zeit" gefordert.
"Wir brauchen keine türkischen Gymnasien in Deutschland", davon ist Aydin fest überzeugt. Er glaubt dagegen, dass der Grund, warum wenige türkische Schüler ein Gymnasium besuchen, ganz woanders liegt: "Ich denke da nur an meine eigene Mutter. Sie hat nie eine Schule besucht, woher sollte sie denn wissen, was ein Kindergarten oder gar ein Gymnasium ist."
Mehr Interesse von den Eltern
Anstatt das deutsche Bildungssystem zu ändern, müsse man türkischen Eltern genau dieses erklären, sagt der Vorsitzende des Ausländerbeirats. "Ich glaube, es besuchen so wenig türkische Schüler Gymnasien oder Realschulen, weil ihre Eltern gar nichts von dieser Möglichkeit wissen." Nur etwa zwei bis drei Prozent der türkischen Schüler besuchen überhaupt ein Gymnasium, sagt Aydin, der in Goßholz aufgewachsen ist. Er fordert aber auch mehr Interesse von den türkischen Eltern, was die Schulbildung ihrer Kinder betrifft: "Die Teilnahme bei Elternabenden geht gegen null."
Wirklich diskutiert wird der Vorstoß Erdogans in den türkischen Gemeinden im Westallgäu laut Aydin nicht. "Das liegt auch daran, dass viele gar nicht verstehen, worum es geht", glaubt der 36-Jährige.
Er persönlich findet den Vorschlag des türkischen Ministerpräsidenten "schlimm". "Bevor Erdogan über das deutsche Bildungssystem urteilt, soll er sich erst einmal deutsche Kindergärten und Schulen anschauen", fordert Aydin. Er hätte sich vom türkischen Ministerpräsidenten gewünscht, dass er die Türken in Deutschland auffordert, sich zu integrieren. "Nur wer die deutsche Sprache kann, kommt weiter", weiß Aydin aus eigener Erfahrung.
"Deutschland ist ihr Heimatland"
Für wichtig hält er dagegen den türkischen Ergänzungsunterricht: "Die türkischen Jugendlichen sollen die Sprache ihrer Eltern beherrschen und auch das Land, aus dem ihre Familie stammt, kennen lernen." Doch das Heimatland der Kinder und Jugendlichen sei Deutschland, nicht die Türkei, ist Aydin überzeugt. "Auch für mich ist die Türkei ein Urlaubsland und das Land meiner Eltern, aber mein Heimatland ist Deutschland."
Bülent Aydin legte dann doch noch eine vorbildliche Schullaufbahn hin: Nach seinem Abschluss an der Realschule machte er kurze Zeit später sein Abitur in Lindau. Nun will er türkischen Jugendlichen helfen, diesen Schritt auch zu schaffen.