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Wertvolle Barthaare wachsen am Rücken

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Wertvolle Barthaare wachsen am Rücken

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    Oberstdorfer Otto Schall einer der letzten Gämsbartbinder Von Veronika Krull Oberstdorf Otto Schall aus Oberstdorf legt Wert darauf, dass er ein Gämsbartbinder ist. Nur in Oberbayern, da sagt man Gams, erklärt der 60-jährige Allgäuer. Wobei er über das ä nach der neuen Rechtschreibung nur den Kopf schütteln kann. Otto Schall ist einer der wenigen, die sich noch auf dieses alte Handwerk verstehen. Was der in Süddeutschland beliebte Hutschmuck mit einem Bart zu tun hat, weiß auch Otto Schall nicht. Schließlich stammen die so dekorativ gebundenen Haare vom Rücken der Gämse. Aber nicht jedes Tier kann zum Lieferanten eines Gämsbartes werden. Die Geißen haben selten einen (Damen-)Bart und auch bei den Böcken wächst ein guter Bart nicht immer und überall. Da gibt es die so genannten blinden Böcke, deren Rücken zwar ein Haarbüschel ziert, das aber nicht die typischen hellen Enden, den so genannten Reif hat. Andere Böcke wiederum leiden unter einer mehr oder weniger weit fortgeschrittenen Rückenglatze. Und so richtig wachsen tut der Bart sowieso nur im Winter. Je dunkler das Haar und je heller der Reif, um so wertvoller ist es. Aber selbst wenn ein Bock einen dicht behaarten Rücken hat, reichen die Haare nicht für einen Gämsbart. Dafür müssen schon, so der Oberstdorfer Gämsbartbinder, vier bis fünf Böcke ihre Federn lassen. Sein umfangreiches Fachwissen erwarb Otto Schall im Alter von 24 Jahren. Sein Lehrer war ein Oberstdorfer Jäger, der sich mit seinen über 80 Jahren langsam zu alt fürs Bartbinden fühlte.

    Otto Schall brauchte damals einen ganzen Winter, bis er den Dreh raus hatte. Denn das Bartbinden ist eine wahre Kunst. Rund 40 Stunden sitzt Otto Schall im Schnitt an einem Bart. Zunächst gilt es, genügend und auch noch ähnlich aussehende Haare für einen Bart zusammen zu bekommen. Die Haare, die übrigens nur gerupft sein dürfen (die Wurzeln sind wichtig fürs Binden), werden dann mit einem Kamm von ihrem Winterpelz befreit, in einem schmalen Glas aufgestoßen und der Länge nach geordnet. Gleichlange Haare bindet Schall mit einem Faden zu einem kleinen Bündel zusammen. Die kürzeren Haarbüschel werden an einem feinen Draht befestigt und bilden dann die Mitte des Bartes. Die längeren Haare werden kreisförmig um die Mitte angeordnet, die Enden schließlich mit einem grünen Seidenbändchen zusammen gefasst. Sein Material erhält Otto Schall von Jägern, für die er die begehrte Trophäe bindet. Darüber hinaus gibt es wenig Interessenten. Wer trägt denn heute noch einen Gämsbart?, überlegt Schall. Allenfalls ein paar junge Burschen in Trachtenvereinen, hier und da Städtler, die passend zu ihrem Trachtenanzug einen Gämsbart haben möchten. Davon leben kann Otto Schall nicht. Im Winter arbeitet er am Söllereck als Skilehrer, im Sommer betreibt er eine kleine Landwirtschaft und geht auf die Jagd. Das Gämsbartbinden ein aussterbendes Handwerk? Otto Schall nickt. Heute will das doch keiner mehr lernen. Seine beiden Söhne haben schon abgewunken: Der eine arbeitet in einer Bank und hat keine Zeit, der andere, ein Musiker, hat kein handwerkliches Geschick. Vielleicht, so der Gämsbartbinder hoffnungsvoll, tritt Tochter Johanna in seine Fußstapfen. Die 28-Jährige, die im Hotelfach arbeitet, hat

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