Artikel: Wer spielen will muss fühlen

12. Dezember 2002 20:30 Uhr von Allgäuer Zeitung

Lindenberger Schüler proben Charles Dickens´ Weihnachtsgeschichte - Premiere am 18. Dezember Lindenberg Johanna soll traurig sein. Richtig traurig. Und dann zornig. Immerhin verlässt sie ihren geldgeilen Verlobten Ebenezer Scrooge alias Basti. So richtig traurig und zornig wirkt sie aber nicht - Einsatz für Uli Mayer, Lehrer an der Hauptschule Lindenberg und Leiter der Theatergruppe..

'Du musst die Stimmung fühlen', erklärt er dem Mädchen, das in Charles Dickens´ Weihnachtsgeschichte die junge Belle spielt. Und Johanna fühlt, sie wirft den Verlobungsring trotzig auf den Tisch und verlässt den Geizkragen Ebenezer. Ohne kehrt zu machen, eilt sie hinaus und auch Ebenezers Beschwichtigungsversuche bleiben umsonst. Seit Oktober proben Schülerinnen und Schüler in der Lindenberger Hauptschule Dickens´ weltberühmte Weihnachtsgeschichte. Das Besondere an diesem Projekt ist die Zusammenarbeit von Hauptschule und Gymnasium. Die Hauptrolle hat Simon Brombeiss übernommen, der im vergangenen Jahr in 'Momo' zu sehen war. An der Seite des Gymnasiasten agieren 15 Jugendliche aus Mayers Praxisklasse, fast allesamt Theaterneulinge. Für Mayer eine Herausforderung, denn ihm geht es darum, dass die Schüler lernen, was Theater überhaupt bedeutet. 'Hauptsache Text gelernt' - das reicht nicht. Mayer, bekannt durch seine Auftritte beim 'Blauen Kater' in Lindau, will mehr vermitteln als Textbeherrschung. Bühnensprache und ein Gefühl für das Gespielte sind ihm wichtig. Was er damit meint, erklärt er am Beispiel Angst: 'Wer Angst spielen soll, muss zuerst wissen, wie sie sich anfühlt, welche körperlichen Reaktionen sie hervorruft.' Nächste Szene, Ebenezer überreicht Belle einen Ring. 'Basti, du klingst, als würdest du gleich in ein Gefangenenlager gehen', beanstandet Mayer die Schauspielkünste seines Sohnes, der ebenfalls im Stück dabei ist. Wieder und wieder muss der junge Ebenezer seiner Holden erklären, warum er ihr den Verlobungsring schenken möchte. Bald wirken die beiden wirklich wie ein glücklich verliebtes Paar, Assoziationen mit Gefangenenlagern verschwinden. Perfekt ist für Mayer dennoch nicht alles. Die Darsteller sollen sich auf der Bühne sicher fühlen, jeder Schritt muss stimmen. 'Wenn ihr so dasitzt, sehen euch nicht alle Zuschauer' - für Belle und Ebenezer das Signal, ihre Position zu ändern. Gefeilt wird auch an der Artikulation und an der Lautstärke. Jeder im Publikum soll verstehen können, was Ebenezer Scrooge in einer unheimlichen Weihnachtsnacht erlebt. Die Geister und Visionen, die ihn in jenen Stunden heimsuchen, die Angst, die er empfindet, als ihm seine verpfuschte Vergangenheit vor Augen geführt wird und schließlich die Läuterung vom Geizhals zum mitfühlenden Menschen. Die Theatergruppe vermittelt den Beteiligten nicht nur schauspielerisches Handwerk, sondern auch Toleranz und Vertrauen. Wer auf der Bühne steht, macht Fehler und wer Fehler macht, muss lernen, damit umzugehen. Inzwischen sei es niemandem mehr peinlich, auf der Bühne etwas falsch zu machen, sagt Mayer. 'Die Unsicherheitsmaske fällt.' Aufführungen der Stückes finden am Mittwoch, 18., Donnerstag, 19. und Freitag, 20. Dezember, jeweils um 20 Uhr in der Hauptschule Lindenberg statt. Vor und nach den Aufführungen gibt es einen Weihnachtsbasar.