Auch wenn Tränen oft Sorgen und Trauer begleiten, so können sie doch manchmal auch als Ausdruck der Freude fließen. Zu ungetrübter Freude Anlass gab auf jeden Fall Benjamin Brittens Komposition "Lachrymae" beim jüngsten Meisterkonzert der Sonthofer Gesellschaft "Freunde der Musik".
Denn den beiden Interpreten, den Frankfurter Musikprofessoren Roland Glassl (Viola) und Angelika Merkle (Klavier), gelang im Haus Oberallgäu eine beispielhafte Deutung dieser Reflexionen über John Dowlands Lied "Wenn meine Klagen Leidenschaft erregen könnten". Wie kostbare Miniaturen gestalteten die beiden Künstler die Variationen als klanglich filigrane Gebilde, die im letzten Satz von der dem Werk zugrundeliegenden Weise des englischen Renaissance-Meisters schlicht, aber würdevoll gekrönt wurden. So erzeugten diese "Klagen" beim Publikum große Applaus-Leidenschaft.
Insgesamt sechs Beispiele aus der Kammermusikliteratur für Viola und Klavier hatten die beiden Künstler für ihren Auftritt in Sonthofen ausgewählt. Und mit diesen Werken schlugen sie gedankenreich einen Bogen von der Romantik bis zum 20. Jahrhundert, wobei nicht die Chronologie, sondern Querbezüge zwischen den Kompositionen die Reihenfolge bestimmten.
So ging zum Beispiel Brittens artifiziellen und Traditionen meisterhaft in die Moderne überführenden "Lachrymae" ein Spätwerk von Johannes Brahms voraus, der ebenfalls kunstvoll die Verbindung von alter Form und aktueller Tonsprache suchte. Seine Sonate op. 120/1 wurde zwar ursprünglich für Klarinette und Klavier geschrieben, entfaltet aber auch in der Fassung für Viola und Klavier ihren Reiz.
Vor allem in den beiden Mittelsätzen, Andante und Allegro grazioso, darf das Streichinstrument seine dunkle Klangschönheit in eingängigen Melodien entfalten. Roland Glassl, in Ingolstadt geboren und Mitglied des Mandelring-Quartetts, vermeidet dabei Schmelz und Schmalz, sondern stimmt einen schlackenlosen Gesang an, der durch seine Natürlichkeit bewegt. Leidenschaft entfaltet sich in den Ecksätzen ohne Aufdringlichkeit und Pathos.

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Angelika Merkle am Klavier erweist sich als einfühlsame Partnerin, die sensibel auf Glassls mit immer wieder überraschenden Nuancen aufwartender Melodieführung reagiert, aber stets die Eigenständigkeit des Klavierparts wahrt. Selbst dort, wo das Klavier vorwiegend begleitende Funktion hat, etwa im Wiegenlied der Märchenbilder op.
113 von Robert Schumann, setzt vor allem die in Sonthofen aufgewachsene Pianistin die beeindruckenden Akzente.
Überhaupt überrascht an Angelika Merkles Klavierspiel der feinsinnige Klangreichtum und die stets dem gestalterischen Ausdruck dienende raffinierte technische Brillanz. Da wird der geistreiche Witz in Darius Milhauds vier Frauenportraits op. 238 von der Kalifornierin bis zur Pariserin erfahrbar, da funkeln facettenreich die Einflüsse von rumänischer Volksmusik und französischer Klangraffinesse in George Enescus Konzertstück von 1906, da glimmt gefährlich heiß die Glut der Leidenschaft in Astor Piazzollas "Le grand Tango".
Bei Enescu wie bei Piazzolla erhebt Roland Glassl die Viola in den Rang einer Violine, die von Sinnenfreuden erzählt, ohne geschmacklos zu werden. Was für stilvolle Künstler, die sich mit einer Romanze des Brahms-Zeitgenossen Hans Sitt vom Publikum verabschieden!