Nachts um 3 Uhr in einem Hohenschwangauer Hotel: Eine Mitarbeiterin klagt über heftige Bauchschmerzen - doch der diensthabende Arzt Dr. Heiko Thiele stellt eine überraschende Diagnose für die junge Frau: Sie ist schwanger. "Aber ich bin doch katholisch", antwortet die Hotelangestellte fassungslos. Am nächsten Tag hatte sie im Krankenhaus einen Sohn zur Welt gebracht. Jede Menge solcher Anekdoten kann Thiele von seinen Einsätzen in der Nacht, an Wochenenden und Feiertagen erzählen. Doch mit neuen Geschichten ist nun altersbedingt Schluss, solche Dienste gehören für den bald 65-Jährigen der Vergangenheit an.
Daher hat Dr. Thiele nach 28 Jahren auch sein Amt als Obmann der Füssener Dienstgruppe der Ärzte aufgegeben - eine ungewöhnlich lange Zeit. Nachfolger wurde Dr. Andreas Feil. "Ich bin sehr dankbar, dass er sich zur Verfügung gestellt hat", so Thiele. Denn das Amt als Obmann sei nicht immer vergnügungssteuerpflichtig, da man die Kollegen zu den Diensten einteilen müsse. Es komme mitunter schon einmal vor, dass sich ein Arzt beschwere, warum er denn schon wieder an einem Feiertag Dienst schieben müsse. Da brauche man eine "ausgleichende Art".
Bei den Einsätzen im Notdienst hat Dr. Thiele fast alles erlebt - "von der Wiege bis zur Bahre". Wobei Letzteres nicht zu seinen Lieblingsaufgaben gehörte.
Einige Jahre lange sei er von der Polizei "gerne zu delikaten Dingen geholt worden", erinnert sich der Arzt: Er sei öfters zur Leichenbeschau nach schweren Unfällen oder bei Suiziden angefordert worden. Insgesamt hat die Zahl der Einsätze während des Notdienstes im Laufe der Zeit aber abgenommen, hat Thiele beobachtet. "Zum Beispiel bei Gichtanfällen oder Gallenkoliken: Die Leute, die chronisch darunter leiden, sind heute mit Medikamenten gut versorgt."
Auch die Navi-Technik erleichtert den Medizinern inzwischen ihren Dienst: Probleme mit schlechter Beleuchtung und kaum zu erkennenden Hausnummern würden dadurch gemindert. Sein Wunsch ist aber dennoch: "Wenn man einen Arzt ruft, sollte gesichert sein, dass er auch zum Patienten hinfinden kann."
Weiter in seiner Praxis tätig
Auch wenn er sein Amt als Obmann aufgegeben hat, seine Praxis in der Reichenstraße wird Thiele weiter betreiben. Wie lange, lässt er offen. Doch allzu schnell wird er seinen Traumberuf - "ich habe mit drei Jahren beschlossen, Landarzt zu werden" - wohl nicht aufgeben. So nimmt er derzeit an einer Fortbildung in Palliativmedizin teil.