Von Andrea Schauerte Füssen - 'Wann ist ein Mann ein Mann?' Von dieser Frage aller Fragen Herbert Grönemeyers gibt es seit Dienstag in Füssen eine Abwandlung: 'Wann ist ein Baum ein Baum?' Denn im Zuge des Ottostraßenausbaus erschien eine laut Stadtbaumeister Theo Fröchtenicht 'total falsche' Presseveröffentlichung. Denn nicht 36 Bäume mussten dem Ausbau der Ottostraße weichen, sondern nur zehn. Bei den 26 anderen 'Bäumen' handle es sich nicht um solche, nur abrechnungstechnisch, wie Fröchtenicht im Bauausschuss erklärte. Fragezeichen. Denn wann ist nun ein Baum ein Baum? Das Internet liefert die botanische Definition: ' jene holzigen Samenpflanzen, die über einen dominierenden Stamm sowie über ein sekundäres Dickenwachstum verfügen'. Auf gut Deutsch: Das Pflänzchen muss aus einem Samen stammen, in die Höhe wachsen und sich gleichzeitig auch in die Breite ausdehnen, zum Beispiel durch Äste. Demnach ist die Palme kein Baum, obwohl sie wie ein normaler Baum Baumwurzeln, Baumstamm und Baumkrone hat - aber eben keine Äste. An der Ottostraße geht es auch nicht um Palmen, sondern um echte Bäume. Deren erste Arten entstanden vor rund 250 Millionen Jahren: Es entwickelten sich die so genannten 'nacktsamigen Pflanzen', die Gymnospermen. Zu diesen gehören die Koniferen, landläufig Nadelbäume genannt und immer wieder gut für den alten Baumschulenwitz von den Koryphäen im Garten … Doch nicht alle Koniferen haben Nadeln - womit wir wieder bei der Palme wären.
Die fiederblättrige Fächer-Palme ist zwar eine Konifere, weil nacktsamig, hat aber weder Nadeln noch Äste und ist deshalb kein Baum. Die Zypresse wiederum ist nacktsamig, also auch eine Konifere, hat Äste, ist also ein Baum, aber kein Nadelbaum, weil sie schuppige Blätter statt Nadeln hat. Übrig bleibt für Mitteleuropa die Familie der Pinaceae - Fichten, Kiefern, Lärchen, wie man sie auch an der Ottostraße findet. Jetzt kommt’s: Vor 150 Millionen Jahren entdeckten manche Nacktsamer vielleicht eine Art Schamgefühl und bedeckten sich. Es entstanden die bedecktsamigen Pflanzen, die Blütenpflanzen. Diese Angiospermen eroberten den Globus - es gibt heute noch rund 170 000 Arten - in einer Zweiklassengesellschaft: die Einkeimblättrigen (zu denen, dreimal darf der geneigte Leser raten, auch Palmenarten gehören) und die Zweikeimblättrigen - unsere Laubbäume und Sträucher. Was ein Nadel- und was ein Laubbaum ist, dürfte nun geklärt sein. Doch was brachte Stadtbaumeister Theo Fröchtenicht im Bauausschuss dann auf die Palme? Was ist der Unterschied zwischen den zehn echten Bäumen und den 26 Gehölzen, Schösslingen und Sträuchern, die an der Ottostraße gefällt werden mussten? Ganz einfach: der Stammdurchmesser. Denn bei den einschlägigen Firmen gilt abrechnungstechnisch alles das als Baum, was mehr als zehn Zentimeter Stammdurchmesser hat. Also stehen auf einer derartigen Rechnung als Baum auch die Hauptstränge eines Haselnussstrauches oder ein noch junges Bäumchen, egal ob Nadel oder Laub, wenn die 'Stämme' mehr als zehn Zentimeter Durchmesser haben. Dass das Fällen der 'holzigen Samenpflanzen' an der Ottostraße auch denen in der Seele weh tat, die für das neue Verkehrskonzept der Stadt Füssen sind, ist unbestritten. Ein Trost mag sein, dass viele echte Bäume stehen blieben und auch wieder neue gepflanzt werden. Und dabei handelt es sich dann, so versprach Theo Fröchtenicht, schon um richtige Bäume, bei denen es aufgrund des Durchmessers ihrer Stämme keinen Zweifel an der Baumhaftigkeit geben wird. Um jeden Zweifel auszuschalten, könnte man es vielleicht mit einem Ahuehuete-Baum versuchen, wie er in Santa Maria de Tule im mexikanischen Staat Oaxaca steht. Mit 11,42 Metern Stammdurchmesser gilt er als dickster Baum der Welt. Und ob eine Sumpfzypresse nun ein echter Baum ist oder nicht - diese Frage kann jetzt jeder Leser selbst beantworten, oder?