Von Brigitta Wenninger |Buxheim-MemmingenWie einen Stein sehen sie ihn fallen. Ein Absturz aus rund 400 Metern Höhe. Entsetzt beobachten Augenzeugen, wie der 21-Jährige dem Boden entgegen rast und mit furchtbarer Wucht aufschlägt. Es ist der 7. Juli 1958. Am nächsten Tag berichten die Zeitungen über das Unglück, das auf einem Übungsgelände nahe Oberhausen bei Weilheim passiert ist: 'Sprung in den Tod' und 'Fallschirm versagt - Leutnant getötet', lauten die Schlagzeilen.
50 Jahre später: Kurt Angele sitzt in Buxheim bei Memmingen in seinem Garten. Vor ihm liegen alte Zeitungsausschnitte und Schwarz-Weiß-Fotos. Sie zeigen den jungen Fallschirmjäger, dessen Schirm sich damals angeblich nicht öffnete. Sie zeigen Kurt Angele.
Die Gedanken des 71-Jährige schweifen zurück: Er steht an der geöffneten Tür der 'Noratlas'. Das in Kaufbeuren gestartete Bundeswehrtransportflugzeug erreicht seinen Zielpunkt, Angele springt ab. Plötzlich ein scharfer Ruck. Der 50 Kilogramm schwere Lastensack reißt ihn nach hinten, Leinen verheddern sich. Der Schirm ist draußen, aber öffnet sich nicht.
Der 21-Jährige versucht fieberhaft, die Schnur des Lastensacks zu lösen, die sich straff um das Paket des Reserveschirms gelegt hat. Über ihm flattert der zusammengeklappte Hauptschirm. Als er es schafft, ist es zu spät. Aus den Augenwinkeln sieht er Baumwipfel, Sekundenbruchteile später schlägt er auf.
Entsetzte Gesichter
Der Buxheimer, Angehöriger des Kemptener Fallschirmjäger-Battaillons 19, erinnert sich: An den harten Schlag, als er mit dem Rücken aufprallt. An die entsetzten Gesichter. Schmerzen spürt er keine, höchstens Verwunderung. 'Ich habe keine Sekunde daran gedacht, dass ich sterben könnte. Aber alle anderen waren sich sicher: Der ist hin?, erzählt Angele: 'Offensichtlich auch die Presse.'
Als der Unfall passiert, befinden sich Sanitäter der Bundeswehr auf dem Maxlrieder Sprunggelände. Sie eilen zu dem jungen Soldaten, der schwer verletzt unter seinem Schirm liegt. Er ist ansprechbar, ringt um Luft und hustet Blut. Die Wucht des Aufpralls hat seinen Körper über 30 Zentimeter tief in die nasse Moorwiese gedrückt. Angele wird in das Krankenhaus in Peißenberg gefahren. Sein Zustand ist ernst: Zwei Wirbel sind gebrochen, eine Rippe steckt in der Lunge, eine Niere ist gequetscht. Magen und Darm arbeiten nicht mehr, es kommt zu einem akuten Kreislaufversagen. Doch den Ärzten gelingt es, Angele zu stabilisieren. Nach sieben Tagen ist er über dem Berg. Fünf Wochen später lässt er sich zur Unglücksstelle fahren. Dort ist immer noch der Abdruck seines Körpers zu sehen.
Nach fünf weiteren Wochen wird Angele entlassen. Er meldet sich sofort zum Dienst zurück und hat nur einen Gedanken: 'Ich will wieder springen.'
Hartes Training
Angele trainiert hart, um wieder in Form zu kommen. Der Sprung am 7. Juli war sein Achter. Viele hundert Sprünge hat Angele hinter sich, als er sich 1975 bei einer verunglückten Landung einen Lendenwirbel bricht: Das endgültige Aus für seine Laufbahn als Fallschirmjäger. 1985 scheidet er als Oberstleutnant aus der Bundeswehr aus aus gesundheitlichen Gründen, die Spätfolgen seiner Unfälle. In den Jahren nach dem letzten Sprung konzentriert sich Angele auf seine zweite große Leidenschaft: die Reiterei.
Wieder fällt sein Blick auf das Foto, das ihn als jungen Fallschirmjäger zeigt. Angele weiß, dass Menschen bis heute vom 'Wunder von Maxlried' sprechen. 'Doch es war kein Wunder', sagt der gebürtige Memminger ruhig.
Seine gute Konstitution habe ihn damals gerettet. Und der Umstand, dass die Wiese, auf der er aufschlug, sumpfig war. 'Hätte der Sprung über dem harten, steinigen Übungsgelände bei Altenstadt stattgefunden, wäre ich wahrscheinlich tot gewesen', sagt Angele. Aber die Noratlas flog ein anderes Ziel an. Der Buxheimer bleibt dabei: 'Ich hatte einfach Glück.'