Stillen ist gut für Mutter und Kind, weil es beide vor Krankheiten schützen kann und ihre Bindung stärkt. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Und trotzdem, sagt Sabine Anwander, sei "die natürlichste Sache der Welt" in den 70er Jahren durch das Aufkommen der Flaschennahrung und der gesamten Krankenhausentwicklung mehr und mehr aus dem Bewusstsein vieler Frauen verschwunden: "Damals war es in, die Flasche zu geben", erinnert sich die Hebamme. Das Geburtshilfe-Team an der Klinik Immenstadt möchte dem - jetzt ganz offiziell - entgegensteuern. Als erste Klinik in Schwaben und eine von 50 in ganz Deutschland hat sie sich als besonders "babyfreundlich" zertifizieren lassen. Möglich ist das durch eine Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Kinderhilfswerks Unicef.
"Dahinter stecken vier Jahre Arbeit", berichtet Anwander. Seit 2005 habe sich eine Projektgruppe bestehend aus zwei Hebammen, zwei Ärzten, der Stations-, Kinderzimmer- und Pflegedienstleitung mit dem Konzept und den Anforderungen von WHO und Unicef auseinandergesetzt: "Voraussetzung für die Zertifizierung ist nämlich, dass wir zehn Schritte zum erfolgreichen Stillen in die tägliche Arbeit integrieren."
Schmusen, dann wiegen
Damit das gesamte Team "eine Sprache" spreche, werden alle Mitarbeiter 20 Stunden lang von der WHO geschult und mündlich und praktisch geprüft. Alle Frauen bekommen schon bei der Geburtsvorbereitung Informationen über die Bedeutung des Stillens.
Damit die Frauen die Klinik gestärkt verlassen und schon einen guten Kontakt zu ihrem Kind aufgebaut haben, wird auf Mehreres geachtet: "Wir sorgen dafür, dass Mutter und Kind so schnell wie möglich nach der Geburt zusammenkommen und zusammenbleiben", erklärt die Hebamme. Auch die notwendigen Erstuntersuchungen und das Wiegen der Babys werde dieser ersten so wichtigen Begegnung hinten angestellt.
"Die Kleinen brauchen erstmal auch nichts außer einem Mützchen", sagt Anwander, denn sie blieben auf der Haut der Mutter warm. Und auf ganz natürliche Weise würden sehr viele Neugeborene wie automatisch die Nähe zur Brust der Mutter suchen. "Stillen ist eben ein Urinstinkt", sagt Anwander. Die frisch gebackene Mama und ihr Baby bekommen dann mindestens eine Stunde Zeit ausgiebig zu kuscheln.
Wenn bei einer Frau ein Kaiserschnitt notwendig war und die Operation noch einige Minuten dauere oder andere Eingriffe notwendig werden, könnten auch die Väter für die erste Bindung auf der nackten Brust sorgen. Um den Müttern das Stillen ihres Neugeborenen - im günstigen Fall für mindestens sechs Monate - schmackhaft zu machen, verzichtet das Klinikum außerdem bewusst auf Werbung von Babynahrungsmitteln. "Wir verteilen auch keine Schnuller", berichtet Anwander. Denn das Saugverhalten des Kindes verändere sich dabei. Das könne sich negativ aufs Stillen auswirken. Ob all das auch tatsächlich im Klinik-Alltag umgesetzt wird, davon hat sich eine Gutachtergruppe von WHO und Unicef persönlich in Immenstadt überzeugt.
Auch Patientinnen wurden nach ihren Erfahrungen befragt: "Mir wurden viele Detailfragen gestellt, zum Beispiel wie schnell ich Jonathan nach der Geburt bei mir hatte", erzählt Julia Kind (32). Weil es in ihrer Familie viele Allergien gebe, sei ihr das Stillen sehr wichtig gewesen. "Außerdem ist es einfach schön." Bei Theresa Lindebar (32) war eine Gutachterin beim Kaiserschnitt dabei: "Ich habe mich zu jeder Zeit gut aufgehoben gefühlt."