Tina Schmidt kommt nicht weiter. Sie klettert an einer etwa acht Meter hohen Felswand in Seltmans. "Hebst mi?", ruft sie ihrem Bruder und Kletterpartner Christopher zu. Dieser strafft das Sicherungseil - "ja". Die 23-Jährige lässt los, hängt im Seil und schüttelt ihre Arme aus. Nach einer kurzen Pause kämpft sie sich den Rest der Kletterroute hoch.
Solche Szenen spielen sich normalerweise eher im südlichen Landkreis ab, in der Nähe der Berge. Doch auch im nördlichen Oberallgäu und in Kempten gibt es natürliche Kletterwände: In Seltmans und in der Nähe des Bachtelweihers. Die Sandsteinwand bei Kempten ist aber meistens verwaist. Trotzdem: die Sicherungshaken der sechs Routen mittlerer Schwierigkeit sind in gutem Zustand.
In Seltmans dagegen ist bei schönem Wetter immer etwas los. Zahlreiche Kletterer fast aller Altersgruppen toben sich an den 49 Routen in der langen Wand aus Konglomeratgestein aus. Nicht jeder Bergsportler mag diesen Fels. "Er ist gewöhnungsbedürftig", sagt beispielswiese Inge Gleißner (44) aus Waltenhofen. Ihr 47-jähriger Mann Rainer wendet dagegen ein, dass man zumindest überall einen Griff findet. Denn Konglomerat besteht aus verfestigtem Geröll. Weil es wie zusammengebacken ist, sagt der Allgäuer auch Herrgottsbeton dazu.
Die Gleißners klettern jede Woche. Sie im Schnitt einmal, er zwei- bis dreimal. Dabei fahren sie an verschiedene Kletterfelsen im Allgäu. "Seltmans ist natürlich schnell zu erreichen", sagen sie. Allgemein sei der Vorteil des Sportkletterns, dass es nicht so zeitaufwendig sei, wie andere alpine Sportarten. Und: "Jede Klettertour ist anders", sagt Rainer Gleißner. Immer werden andere Bewegungen, gefordert. "Und es reizt auch, etwas zu schaffen, das zu Beginn noch in weiter Ferne lag", sagt er weiter. Natürlich gehöre auch der Nervenkitzel dazu - "Obwohl ich kein Freund von Stürzen bin", sagt Inge Gleißner.
Denn ein Sturz kann trotz Sicherung schmerzhaft sein. Die Erfahrung hat Tina Schmidt vor einem Jahr gemacht. Seit sie mit dem Gesicht an den Fels schlug, ist sie vorsichtiger. Tina und ihr Bruder Christopher klettern seit zwei Jahren. Sie sind eher an den leichten Routen unterwegs. Diese hat Seltmans genauso zu bieten wie die anspruchsvollen, teilweise überhängenden Touren, in denen Rainer Gleißner unterwegs ist.
Das Ehepaar Steffi und Frank Großert (29 und 30) kommt sogar aus Kranzegg nach Seltmans. Dort sei der Fels immer recht schnell trocken, erzählen sie in einer Pause. Die beiden treiben viele Sportarten. Sie joggen, radeln und gehen auf Skitouren. Doch Klettern reizt sie besonders: "Man ist draußen, braucht Ausdauer und Kraft, muss aber auch denken und Strategien entwickeln", sagen sie.
Dann geht es wieder an den Fels.