Von Evelin Ullmann, Unterallgäu - 'Der Hafen der Ehe ist nicht die Insel der Glückseligkeit. Eine Beziehung bedeutet Arbeit.' Sagt Dietmar Stett, Leiter der Beratungsstelle für Ehe, Jugend und Familie in Mindelheim. Den bundesweiten Trend, dass sich immer mehr Paare scheiden lassen, bekommt auch er deutlich zu spüren. Die Beratungsgespräche aufgrund von Trennungsabsichten nehmen stetig zu. Im vergangenen Jahr zählte Stett allein 30 Fälle. Im Unterallgäu gab es im Vorjahr allerdings einen Rückgang der Scheidungen. Wie das Statistische Bundesamt kürzlich mitteilte, erreichte die Zahl der Scheidungen in Deutschland im vergangenen Jahr eine neue Rekordmarke: etwa 197500 verheiratete Paare trennten sich. Das sind 1,6 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Von den seit 1991 geschlossenen Ehen ist mittlerweile jede fünfte wieder geschieden. Nicht ganz so düster sieht es im Unterallgäu aus. Wie Hermann Dimmling, Direktor des Memminger Amtsgerichts, mitteilte, ging die Zahl der Scheidungen im Landkreis inklusive Memmingen im Vorjahr sogar zurück. Der überraschende Rückgang scheint aber eine Ausnahmeerscheinung zu sein. Über die Gründe, warum so viele Ehen scheitern, wird heftig spekuliert. Dietmar Stett hält weder Geldsorgen noch die Arbeitslosigkeit eines Partners für ausschlaggebend.
Er habe vielmehr die Erfahrung gemacht, dass die Frau mit einer Erwartungshaltung in die Ehe gehe, die der Mann nicht erfüllen könne. Für die Frau, so Stett, habe sich in den vergangenen 30 Jahren viel verändert, das Lebensmuster der Männer jedoch sei größtenteils unverändert geblieben. In den meisten Fällen führe die Unzufriedenheit der Frau zur Trennung. Laut Stett beklagen sich die Frauen häufig über zu wenig gemeinsame Unternehmungen und die Verschwiegenheit ihrer Männer. Währenddessen störe viele Männer, dass in ihrer Beziehung der Sex zu kurz komme. Im Grunde, so erklärt der Diplompsychologe und Familientherapeut, hielten sich in den meisten Beziehungen drei bis fünf Grundkonflikte, die immer wieder auftauchten. Die Paare, die zu Stett kommen, lernen zuerst, über diese Konflikte zu sprechen. Denn: Nicht selten reden die Partner aneinander vorbei. So gebe die Frau dem Mann oft falsche Signale, anstatt konkret zu sagen, was sie wolle oder störe. Zum Bespiel empfiehlt der Fachmann einen Satz wie: 'Hättest Du Lust, mal wieder ins Kino zu gehen?' nicht als zeitlose Idee, sondern als konkreten Vorschlag zu sehen. Der Mann hingegen sei häufig zu bequem, nachzuhaken und Problemen auf den Grund zu gehen. Dass die Vernachlässigung der Frau gravierende Folgen haben kann, verfolgt der Berater derzeit bei drei Paaren. In allen Fällen fühlten sich die Frauen einsam und lernten über einen Chat-Room im Internet neue Partner kennen. Interessant auch: Der Großteil der Frauen, die Rat suchen, sind nicht berufstätig. 'Frauen, die die Doppelbelastung aus Ehe und Beruf zu bewältigen haben, sind wohl tatsächlich zufriedener', so Stett. Schade findet er, dass viele Eheleute die Beratungsstelle von der Katholischen Jugendfürsorge erst sehr spät oder auch gar nicht aufsuchen. Schließlich hätten die Ehepartner laut Gesetz einen Rechtsanspruch darauf, von ihm eine kostenlose Beratung zu erhalten.