Von Claudia Benz |Oberallgäu/KemptenAufgewachsen ist er in Bayreuth, die letzten Jahre hat er in Aschaffenburg verbracht, seit April steht er an der Spitze des evangelisch-lutherischen Dekanats Kempten, zu dem auch das Oberallgäu gehört: Jörg Dittmar. Mit 39 Jahren zählt er zu den jüngsten "Chefs" eines Dekanats in Bayern und leitet mit dem Dekanat Kempten und seinen 55 Pfarrern eines der größten im Freistaat.
Wie geht es Ihnen im Allgäu?
Dittmar: Wunderbar (Dittmar lacht, schaut aus dem Fenster und zeigt auf die Ausgrabungen und das riesige Zelt darüber am Kemptener St.-Mang-Platz). Das hat was von Oktoberfeststimmung. Fehlt nur noch die Musi.
Naja, aber dafür haben Sie ja jetzt neue Räume.
Dittmar: Stimmt. Und die sind freundlich geworden, hell und kompakt. Ich mag den Blick auf den Magnusbrunnen sehr. Und in meinem neuen Amt fühle ich mich wirklich wohl.

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Und? Schon eingearbeitet?
Dittmar: (lächelt) Noch nicht ganz. Aber mein Vorgänger Maser hat gut strukturiert. Momentan bin ich stark damit beschäftigt, mich um die Bausubstanzen des Dekanats zu kümmern. Da ist manches marode.
Bleibt da die Seelsorge auf der Strecke?
Dittmar: (Er wird nachdenklich). Ja, die Gefahr besteht. Aber mir ist wichtig im Umgang mit den Gemeinden und Mitarbeitenden deren Seelenlage im Blick zu haben. Wo Leitung und Verwaltung die Mitarbeitenden vor Ort unterstützt und schätzt, ist sie eine Art Seelsorge.
Dittmar: Müssen Sie nicht auch auf die steigenden Kirchenaustritte reagieren?
Mmh (Der Dekan stopft sich nachdenklich seine Pfeife). Die Austritte steigen bei uns nicht. Im Gegenteil - sie sinken sogar leicht. Klar: Mitglied einer Kirche zu sein ist heute nicht mehr selbstverständlich, sondern eine persönliche Entscheidung. Das ist doch gut so. Natürlich müssen wir dafür werben, dass Menschen unsere Arbeit verlässlich unterstützen. Und es gibt noch andere Veränderungen.
In welche Richtung?
Dittmar: Die Leute gehen gezielter in die Kirche. Beispielsweise sind Weihnachts- und Ostergottesdienste voller, auch Familiengottesdienste.
Was heißt das?
Dittmar: Dass die meisten sich ihrer Kirche verbunden fühlen, sich aber eher über Kurzstrecken engagieren. Es gibt Zeiten im Leben, in denen man sich eben nicht so binden will, auch mal aussteigen möchte.
Muss man da nicht reagieren?
Dittmar: Warum? Kirche muss für den Menschen da sein und nicht nur der Mensch für die Kirche. Es gibt einfach Phasen, in denen man alle Hände voll damit zu tun hat, das eigene Leben zu meistern. So sind zum Beispiel die Kurzzeitberatungen gestiegen. Kirche wird gebraucht.
Aber muss man nicht trotzdem reagieren? Sozusagen einen Eventcharakter schaffen?
Dittmar: Oh Gott nein, (Dittmar lacht). Schauen Sie: Die am Heiligen Abend kommen, wollen die Geborgenheit traditioneller Formen. Und wer Kirche sucht, will verlässliche Partner und keine "Kirche light".
Also muss sich die evangelische Kirche nicht mehr öffnen?
Dittmar: Nein wieso? Wir Evangelischen sind sehr offen. Manche werfen uns ohnehin vor, dass wir viel zu offen sind, weil wir nicht so gerne moralische Urteile fällen. Dann ist natürlich schwerer zu erkennen, wo wir stehen.
Und wo stehen Sie?
Dittmar: Dafür, für den Menschen als Berater, Begleiter und Seelsorger da zu sein - mit der besten Botschaft der Welt: Güte ist Gott und Gott ist Güte.
Hört sich gut an. Doch immer wieder wird ein Profil der evangelischen Kirche eingefordert.
Dittmar: Ja ich weiß. Aber das beste Profil, das wir haben können, ist das fröhliche und freundliche Gesicht der Menschen, die in den Gemeinden mitarbeiten. Ich bin glücklich, wie viele ich davon schon im Dekanat Kempten kennengelernt habe.
Na, nach Minderwertigkeitskomplex sieht das nicht aus.
Dittmar: Nein, wozu? (Dittmar zieht an seiner Pfeife) Um uns Evangelische muss man sich keine Sorgen machen. Wir sollten uns aber weniger mit uns selbst beschäftigen. Und wenn Jörg Dittmar Zeit hat, sich mit sich selbst zu beschäftigen, was macht er dann?
Dittmar: Dann lese ich, versuche meinem Hobby, dem Intarsienlegen, nachzukommen oder genieße mit meiner Familie das schöne Allgäu.