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Artikel: Tiefer in die Materie einsteigen

11. August 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung

100-Tage-Bilanz Wolfgang Eurisch vermisst weder Handschellen noch Dienstwaffe, profitiert als Bürgermeister aber vom Polizeiberuf

Von Vitalis Held |BiessenhofenWolfgang Eurisch vermisst weder Dienstwaffe noch Handschellen. Und sein Fachwissen als Drogenermittler bei der Kriminalpolizei Kempten war bisher in seiner neuen Aufgabe als Bürgermeister von Biessenhofen auch noch nicht gefragt. Stattdessen nahm ihn viel Neues in Beschlag, seit er vor 100 Tagen den Chefsessel im Rathaus übernahm: Kindergarten und Schule, Personalfragen und Bauanträge, Nestlé-Erweiterungen und Verwaltungsabläufe.

Doch profitiert er von der Zeit als Ordnungshüter: "Die Menschenkenntnis, die ich als Polizist sammelte, kann ich gut brauchen." Und bei strittigen Themen nutzt Verhörerfahrung: "Als Polizist habe ich gelernt, alle Seiten anzuhören."

Das politische Amt verlangt ihm auch zeitlich mehr ab als die Kripoarbeit. Abendtermine, Veranstaltungen am Wochenende, enge Zeitvorgaben bei der möglichen Nestlé-Erweiterung geben den Tagesablauf vor. Dabei stellt der 37-Jährige Unterschiede zur bisherigen Rolle im Gemeinderat fest: Durch die sechs Jahre als Ratsmitglied habe er zwar alle Themen gekannt, aber als Bürgermeister dringe man tiefer in die Materie ein und trage mehr Verantwortung. "Für manches Handeln von Erwin Fahr habe ich nun mehr Verständnis", blickt er auf die Amtsjahre seines Vorgängers.

Froh ist Eurisch, dass im Gemeinderat weiter ein sehr kollegiales Klima herrscht. Nach einer Wahl mit vier Bürgermeisterkandidaten und bei 16 Ratsmitgliedern von fünf Parteien ist dies keine Selbstverständlichkeit. Aber der CSU-Mann Eurisch sieht sich ohnehin vor allem den Bürgern verpflichtet: "Mir ist es ziemlich egal, aus welcher Partei ein Vorschlag kommt. Der Mensch und die Probleme zählen."

Austausch mit Bürgermeistern

Das gilt auch für andere politische Bereiche. Eurisch setzte sich als Vorsitzender von Hauptschulverband und Verwaltungsgemeinschaft durch. Er hält dies für sinnvoll. Denn als hauptamtlicher Bürgermeister sei er gut erreichbar. Belastet habe die Konkurrenz um den Vorsitz das Verhältnis der "Kleeblattgemeinden" Biessenhofen, Aitrang, Bidingen und Ruderatshofen nicht.

Und Eurisch ist der Austausch mit den Kollegen in der VG, im Ostallgäu, mit den Kaufbeurer Umlandbürgermeistern und als Mitglied des Kreistags sehr wichtig.

Hauptschule stärken

Neben Nestlé sieht Eurisch einen Schwerpunkt bei der Hauptschule. Mit einem Schulsozialarbeiter soll diese ihren Ruf stärken. Angedacht sei eine offene Ganztagsbetreuung. Handlungsbedarf zeichnet sich bei den Jüngsten ab: Für Kinder unter drei Jahren könnte eine Gruppe in Altdorf entstehen. Absehbar sei zudem Sanierungsbedarf: Sowohl bei Bausubstanz als auch Energieverbrauch gelte es bei Kindergärten, Schulen und Turnhallen zu handeln.

Gut abgedeckt sieht er den Bedarf an Bauplätzen. Trotz großer Firmenerweiterungen in Kaufbeuren und Marktoberdorf sei nicht daran gedacht, die Einheimischenregelung bei der Bauplatzvergabe zu lockern. Zuzug von Neubürgern ergebe sich durch den Weiterverkauf von Häusern ohnehin.

Das neue Amt brachte auch Einschnitte im Privatleben. Leidenschaftlich schwang sich Eurisch vor der Wahl aufs Rad, um sich fit zu halten. Doch dafür fehlt nun die Zeit. Auch mit einem Ultraleichtflugzeug abzuheben, das hat er heuer erst zweimal geschafft - vor der Wahl. Und für den Dirigentenposten bei der Dorfmusik bleibt kaum mehr Zeit. Vielleicht habe er ja in zwei Jahren mehr Routine im Amt und mehr Zeit für Hobbys, hofft er.