Kritik an mildem Richterspruch Zweierlei Maß? Von Franz Summerer und Jürgen Stöcker Oberstaufen Ungewöhnliche Kollegenschelte übte indirekt der stellvertretende Leiter des Kemptener Amtsgerichts, Dieter Geisenfelder. Die Entscheidung des Sonthofer Richters Dr. Hanspeter Zweng, den CSU-Landtagsabgeordneten und bayerischen Milchwirtschaftschef Josef Zengerle aus Hinang als Tempo-Sünder vor einem einmonatigen Fahrverbot zu bewahren, kommentierte Geisenfelder auf Anfrage unserer Zeitung mit den Worten: Das im Fall Zengerle angewandte strafmildernde Argument des Augenblicks-Versagens habe er noch nie benutzt. Unterdessen erreichten unsere Lokalredaktionen Immenstadt und Kemptenzahlreiche empörte Leser-Anrufe. Wie berichtet, war der christsoziale Politiker Zengerle mit Tempo 89in Vorderhindelang in eine Radarfalle geraten. An gleicher Stelleblitzte die Polizei vor geraumer Zeit auch seinen Parteifreund Landrat Gebhard Kaiser. Mit 83 Sachen auf dem Tacho. Erlaubt sind dort nur 50Stundenkilometer. Während Kaiser das einmonatige Fahrverbot klaglosakzeptierte, legte Zengerle Widerspruch beim Amtsgericht Sonthofenein. Seine Begründung: großer Zeitdruck. Außerdem habe er als Abgeordneter, Kreis- und Stadtrat, Bauernfunktionär, Vorsitzender des Milchwirtschaftlichen Vereins sowie als Landwirt durch ein Fahrverbotberufliche Nachteile. Mit Dr. Hanspeter Zweng fand Zengerle einengnädigen Richter. Wegen Augenblicks-Versagen und weil der CSU-Abgeordnete kein Wiederholungstäter sei hob Zweng das Fahrverbotzugunsten einer um hundert auf 300 Mark erhöhten Geldbuße auf. Heftige Reaktionen löste das Urteil in der Bevölkerung aus. Tenor: Dawerde wohl mit zweierlei Maß gemessen, und Zengerle sei mit einem Prominenten-Bonus belohnt worden. Mir ist das gleiche passiert undich bin beruflich ohne Auto aufgeschmissen.
Aber mein Widerspruchwurde ruckzuck abgeschmettert, schimpfte beispielsweise ein Leser am Telefon. Ihm habe der Richter damals lapidar erklärt, er könne ja das Fahrverbot in seinen Urlaub legen. Dabei habe ich aus beruflichen Gründen gar keine vier Wochen Urlaub am Stück. Ein Landtagsabgeordneter finde wohl vor den Augen des Gerichts eher Gnadeals ein einfacher Bürger. Wenig Erfolg Dass tatsächlich nur die wenigsten Einsprüche gegen Fahrverboteerfolgreich seien, bestätigte der Kemptener Amtsrichter Geisenfelder. Schließlich habe der Gesetzgeber die Vier-Monats-Frist geschaffen, umdie berufliche Existenz von Menschen nicht zu gefährden, die auf das Auto angewiesen sind. In dieser Frist könnten Autofahrer, dieinnerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 30 Stundenkilometerüberschreiten und deshalb laut Bußkatalog ein Fahrverbot erhalten, die Zeit ihres Auto-Verzichts selbst bestimmen. Außerdem gebe es weitere Möglichkeiten, Härten abzumildern. So könntees Landwirten trotz Auto-Fahrverbotes erlaubt werden, ihren Traktorauch auf öffentlichen Straßen zu benutzen. Und auf ihrem Grund und Boden dürfen sie ja sowieso uneingeschränkt fahren, so Geisenfelder. Ansonsten wollte der Amtsrichter die Entscheidung seines Sonthofer Kollegen nicht kommentieren. Das strafmildernde Argument des Augenblicks-Versagens habe er allerdings noch nie benutzt. Alsvorbildlich lobte Geisenfelder das Verhalten von Landrat Kaiser, dersein Fahrverbot widerspruchslos hinnahm. In Justizkreisen fürchtet man nun erhebliche Diskussionen mit Temposündern und ihren Anwälten. Die werden sich jetzt wohl alle aufdas ,Augenblicks-Versagen berufen und auf eine Gleichbehandlung mitdem Abgeordneten pochen, sagte uns ein Jurist. Amtsrichter Zwenghabe seinen Kollegen einen Bärendienst erwiesen. Auch in der Oberallgäuer CSU sind viele nicht glücklich über Zengerles Verhalten. Ein führender Politiker, der namentlich nicht genanntwerden will, hielt seinem Parteifreund mangelndes Fingerspitzengefühl vor. Gerade weil diese Temposünde keinschwerwiegendes Vergehen gewesen sei, hätte Zengerle wie Landrat Kaiser auch einfach das Fahrverbot hinnehmen sollen. Natürlich stehees einem Abgeordneten wie jedem anderen Bürger zu, den Rechtsweg zubeschreiten, aber gerade in unseren Tagen sei der Ruf der Politikschnell beschädigt, wenn