Ja, Stefan S. ist im Gerhardinger Haus in den 80er Jahren vom Hausmeister missbraucht worden. Und: Misshandlungen und körperliche Züchtigungen von Kindern durch die damals verantwortlichen Ordensschwestern waren an der Tagesordnung.
Das sind die beiden wesentlichen Erkenntnisse aus den Untersuchungen zum Fall des früheren Heimkindes Stefan S. Der heute in Berlin lebende 40-Jährige hatte (wie berichtet) im März mit einer E-Mail die Überprüfung der rund 25 Jahre zurück liegenden Vorfälle im Heim ins Rollen gebracht. Gestern stellten die Stadt und die Missbrauchsbeauftragte der Armen Schulschwestern, Rechtsanwältin Elisabeth Aleiter, die Ergebnisse vor. Missbrauchsopfer Stefan S. erklärte gegenüber unserer Zeitung, dass er nach einer "schwierigen Zeit" inzwischen froh sei, den Fall öffentlich gemacht zu haben. Wichtig sei ihm vor allem die Bestätigung seiner Schilderungen.
Gruppen mit 15 bis 20 teils verwaisten, teils vernachlässigten und misshandelten Kindern aus schwierigen Familienverhältnissen - dazu jeweils eine Ordensschwester. So habe der Alltag im Gerhardinger Haus vor über zwei Jahrzehnten ausgesehen, berichtete Missbrauchsbeauftragte Aleiter. Übereinstimmend hätten ihr die damals im Heim beschäftigten Schwestern von Ohrfeigen und "hartem Durchgreifen" berichtet, um "Ordnung" in die Gruppen zu bringen. "Insbesondere drei Schwestern haben härter zugeschlagen - so gab es von einer Schwester zwei bis drei Ohrfeigen am Tag für jedes Kind, es wurde an Haaren und Ohren gezogen und mit Büchern zugeschlagen", so Aleiter weiter. Eine der Schwestern sei bereits verstorben, eine andere über 90 und dement.
Vom sexuellen Missbrauch an Stefan S. durch den Hausmeister habe aber nach den Aussagen niemand etwas mitbekommen. Wie berichtet, hatte das Opfer 1997 Anzeige erstattet - da waren die Taten jedoch bereits verjährt.
Bei der Stadt, so fasste Verwaltungsreferent Peter Riegg zusammen, sei der Missbrauch ebenfalls erst da bekannt geworden. Anhaltspunkte für Versäumnisse städtischer Mitarbeiter gebe es nicht. In seinen E-Mails hatte Stefan S. teilweise auch der Stadt eine Mitschuld an der späten Aufklärung der Vorwürfe gegeben. "Wir können nicht ermitteln wie eine Staatsanwaltschaft - wir haben uns aber von Mitarbeitern dienstliche Erklärungen geben lassen. Eine Falschaussage würde beamtenrechtliche Folgen wie etwa Pensionskürzungen haben", so Verwaltungsreferent Peter Riegg. Insgesamt 15 Zeugen - darunter Heimbewohner, Beschäftigte sowie zwei Jugendamtsmitarbeiter im Ruhestand - habe man befragt.
Oberbürgermeister Dr. Ulrich Netzer wiederholte sein Bedauern und bot Stefan S. erneut ein Gespräch an. Dieser lehnte gegenüber der AZ ab. Lediglich mit Anwältin Aleiter will er sich möglicherweise treffen. Zumal noch über einen Ausgleich durch den Orden gesprochen werden soll. Jugendreferent Benedikt Mayer betonte indessen, dass das Gerhardinger Haus von heute nicht gleichgesetzt werden dürfe mit dem vor 25 Jahren. Nach dem Weggang der Schwestern habe sich das Haus verändert. Das sieht auch Missbrauchsoper S. so: "Das ist heute eine andere Einrichtung."