Dominik von Gunten und Philipp Nicolai haben derzeit das Sagen in Altusried: Der Regisseur Gunten, 64, inszeniert das Freilichtspiel 'Robin Hood', das am Samstag, 11. Juni, Premiere feiert; Bühnenbildner Nicolai, 43, hat die Naturbühne am Dorfrand in zwei Welten verwandelt: die Stadt Nottingham und den Sherwood Forrest. Im Interview mit der Allgäuer Zeitung erzählen Sie, was sie den Zuschauern bieten wollen.
Herr von Gunten, haben Sie beim Inszenieren die vielen Robin-Hood-Filme im Kopf?
Von Gunten: Natürlich. Wir haben die Filme beim Entstehen unseres Buches zusammen mit Autor Christian Schönfelder angeschaut und Material daraus bezogen für unsere Aufführung. Auch alle bekannten Figuren aus den Filmen sind dabei.
Um den Zuschauern einen Aha-Effekt zu bescheren?
Von Gunten: Ja. Andererseits sind die Filme auch ein Teil der bemerkenswerten Entwicklung von Robin Hood – von den früheren Balladen aus dem 13. Jahrhundert bis zu den jüngsten Filmen. Die Geschichten haben sich dem jeweiligen Zeitgeschmack und den politischen Gegebenheiten angepasst. Mal war Robin ein Gesetzloser, ein Gangster, dann ein romantischer Volksheld, ein Aufständischer gegen Unrecht.
Und welchen Robin Hood haben Sie sich ausgesucht?
Von Gunten: Einen, der für Freiheit und Gerechtigkeit kämpft. Er wendet sich gegen die Obrigkeit. Bei uns ist er zunächst kein Rebell, sondern ein bürgerlicher Stadtmensch, der eher durch Zufall in Ungnade fällt. Er muss fliehen, kommt zu den Geächteten im Sherwood Forrest und wird erst im Wald zum Helden. Dort lernt er wahren Verhältnisse in der Gesellschaft kennen. Robin verändert sich, er übernimmt Verantwortung für das Volk. Tatsächlich ist er am Ende ein Kämpfer für Freiheit und Gerechtigkeit.
Wie bebildern Sie das, Herr Nicolai? Verorten Sie die Geschichte im Mittelalter?
Nicolai: Wir haben bewusst ein zeitloses Bühnenbild gewählt, um zu unterstreichen, dass die Geschichte zu jeder Zeit spielen kann. Die Stadt basiert zwar auf mittelalterlicher Architektur, sie ist aber grau und nüchtern gehalten. Ihr steht der Wald mit dem Lager und der berühmten Eiche diametral gegenüber.
Sie orientieren sich also nicht an der Ästhetik der bekannten Filme?
Nicolai: Nein, hier in Altusried ist alles eher symbolisch, zeichenhaft.
Von Gunten: Außerdem ist die Ästhetik sehr stark von dem beeinflusst, was wir vorfanden.
Meinen Sie damit die Naturbühne mit Bach, Hügel, Wiese und Wald?
Von Gunten: Als ich die Freilichtbühne zum ersten Mal sah, dachte ich mir: Wie geil ist es hier, Theater machen zu dürfen! Das spielt auch für die Auffassung des Stückes eine große Rolle: Da ist einerseits die Geschichte vom Freiheitshelden, andererseits ist sie stets verknüpft mit den speziellen Gegebenheiten in Altusried. Also mit der Bühne, den Schauspielern, der Tradition. Es ging ja in den Stücken auf der Freilichtbühne immer um Rebellen.
Muss mit Amateuren mehr geprobt werden als mit Profi-Schauspielern?
Von Gunten: Es muss anders geprobt werden. Ein Amateurschauspieler hat andere Qualitäten als ein Profi. Die Menschlichkeit des Einzelnen spielt eine größere Rolle, weil diese Leute viel direkter auf der Bühne stehen. Das hat einen sehr speziellen Charme und eine sehr spezielle Kraft.
Es gibt auch Action bei Robin Hood. Wie gefährlich ist es für die Spieler?
Von Gunten: Beispielsweise gibt es ein Bogenturnier. Die Pfeile sind tödlich. Das heißt: Man muss das Gelände, auf dem sich 400 Leute inklusive Kinder bewegen, so absichern, dass jede Gefahr ausgeschlossen ist. Es gibt Kämpfe mit Stöcken und Schwertern - ich hoffe dauernd, es verletzt sich keiner. Neulich hat sich Sebastian Heerwart, der Robin, an der Hand verletzt.
Sie haben mit Autor Schönfelder etwas erfunden, was es bisher nicht gab in der Robin-Hood-Saga: Kinder im Wald.
Von Gunten: Keiner weiß, wer sie sind und woher sie kommen. Vielleicht sind es Gauner, Waisen oder marodierende Banden. Die Kinder sind wichtig für die Geächteten.
Inwiefern?
Von Gunten: Von ihnen kommt die Idee des gerechten Verteilens. Das ist die Idee, für die Robin Hood steht: Wir nehmen von den Reichen und geben den Armen.
Das hört sich gesellschaftskritisch und aktuell an. Denn viele beklagen, dass die Schere auseinandergeht: Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer.
Von Gunten: Insofern ist die Idee von Robin Hood eine Utopie. Wir lassen im Lager der Geächteten immer mehr arme, entrechtete und entwurzelte Menschen zusammenkommen. Und die Geächteten begreifen, dass dies ein Potenzial ist, mit dem sie gegen die Ungerechtigkeit vorgehen können. Wenn das Lager mit solchen Menschen regelrecht geflutet wird, ist das ein Bild, das stark inspiriert ist von dem, was wir im vergangenen Jahr von den Flüchtlingen in Griechenland und in der Türkei, aber auch in Deutschland gesehen haben. Weltweit haben Menschen ihre Heimat verloren und sind auf unseren Schutz angewiesen. Die Bürger und die Regierung von Nottingham versuchen, sich davor zu schützen. Sie grenzen sich ab, machen dicht, bekämpfen das.
Nottingham als Sinnbild für Europa?
Von Gunten: Ja. Nottingham steht für die Trutzburg Europa. Sie denkt zunächst an sich selbst und nicht an die Mitverantwortung für das, was auf der Welt geschieht. Frau Merkel hat neulich gesagt, wir müssen begreifen, dass wir eine Welt sind. Sie hat Recht.
Ein sehr ernstes Thema für die Freilichtbühne.
Von Gunten: Ich mache Theater, weil ich ewas erzählen will über die heutige Welt. Gleichzeitig sollen die Zuschauer einen Abend lang unterhalten werden und ihren Spaß haben. Das ist hier in Altusried möglich.
Wie kamen Sie mit ihren Ideen an, Herr Nicolai?
Nicolai: Der Widerstand war viel geringer, als ich befürchtet hatte. Was das Bühnenbild anbetrifft, gibt es Zustimmung und Kritik. Manchen ist es zu wenig traditionell, zu modern. Aber ich erfahre auch viel Zustimmung.
Die Freilichtspiele sollen in den nächsten Jahren noch professioneller werden. Welchen Part spielen Sie dabei?
Von Gunten: Wir wurden gebeten, an einer Erneuerung mitzuarbeiten, um einen anderen Geist reinzubringen mit einem professionellen Regieteam. Die Freilichtspiele waren bisher immer eine Allgäuer Veranstaltung. Nun gibt es den Versuch, dies zu öffnen - was richtig ist. Weil so ein Erlebnis Seltenheitswert hat, und man muss versuchen, größere Zuschauerkreise zu erreichen. Altusried ist zu wenig bekannt.
Vermutlich ein schwieriger Prozess.
Von Gunten: Ja. Die Altusrieder haben ja eine gewachsene Tradition und sind mit ihr verhaftet. Dies zu verändern und die Freilichtspiele zu öffnen ist ein Prozess mit Reibungen. Aber der Wille ist da. Wir müssen uns öffnen - ohne das zu zerstören oder zu vergewaltigen, was hier gewachsen ist. Das ist eine große Aufgabe. Deshalb ist es wichtig, gemeinsame Wege herauszuarbeiten, hinter denen alle stehen können. Das ist ein Suchprozess.
Nicolai: Man muss Rücksicht nehmen auf das, was hier gewachsen ist. Wir müssen immer neu ausloten, wie weit wir gehen können. Es kommen viele Fragen, aber es herrscht auch eine große Offenheit.
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