Von Stefanie Dodel, Woringen 'Geduld, ja Geduld braucht man unwahrscheinlich.' Anneliese Fäustle nimmt ein Puzzleteil in die Hand, dreht es und legt es an den linken unteren Rand der Vorlage. 'Schau, hier unten muss es hin', sagt sie zu Sarah, die neben ihr am Küchentisch sitzt. Dann streicht sie Lucio über den Kopf und nimmt die einjährige Lea auf ihren Schoß. 80 Jahre ist Anneliese Fäustle jetzt geworden, 'aber die Kinder halten mich jung', sagt sie. Seit nunmehr 20 Jahren kümmert sich die Woringerin als 'Tagesoma' jeden Tag um bis zu neun Kinder aus Woringen und den umliegenden Gemeinden. Morgens um sechs Uhr kommt das erste Kind zu ihr, bis in den späten Nachmittag ist dann immer was los in der Zellerbachstraße. Die zehn 'Bobby Cars' bleiben nicht lange in der Garage, zwei Schaukeln sind im Hof aufgehängt, es gibt eine kleine Rutsche, Dreiräder, Tretbulldogs und jede Menge andere Spielsachen. In jedem Zimmer im ersten Stock des Hauses steht mindestens ein Kinderbettchen für den Mittagsschlaf der Kleinen, die Windeln stapeln sich ordentlich mit Namen beschriftet am Treppenaufgang und im Küchenschrank. Und überall an den Wänden hängen Fotos. Fotos, auf denen all die Kinder zu sehen sind, auf die 'Oma Fäustle', wie sie von allen genannt wird, in den letzten 20 Jahren aufgepasst hat. Über 80 sind es inzwischen. Auf viele hat sie aufgepasst, seit sie wenige Wochen alt waren - und solange, bis sie in den Kindergarten gehen konnten. 'Wenn sie ihre Stelle behalten wollen, bleibt manchen Frauen nichts anderes übrig, als bald nach der Geburt wieder zum Arbeiten zu gehen', sagt Oma Fäustle dazu nur. Dass sie in einem solchen Fall gern einspringt, hat sich in den vergangenen 20 Jahren auch außerhalb von Woringen herumgesprochen. Angefangen hatte damals alles mit dem vermeintlichen Ruhestand der rüstigen 80-Jährigen: Von 1953 bis 1985 hatte die dreifache Mutter und vierfache Oma als Erzieherin und später als Leiterin im Woringer Kindergarten gearbeitet. Gleich nach ihrem Ausstieg fragte dann eine Mutter nach, ob Anneliese Fäustle nicht ab und zu auf ihr Kind aufpassen könnte. Und mit der Zeit wurden aus dem einen Schützling bis zu neun Kinder, mit denen Oma Fäustle spielt, singt, spazieren geht, Gedichte lernt und für sie kocht. So ist immer was los im und um das Haus der kleinen Frau mit der Kittelschürze und dem akkuraten Dutt. Zu viel werde es ihr dennoch selten - 'und wenn, dann singe ich halt nicht so viel und wir machen nicht so viele Finger- und Kreisspiele', sagt die 'Tagesoma', während sie für die Kinder Kartoffeln mit Butter auf kleinen Brettchen herrichtet. 'Je mehr Kinder es sind, desto geselliger ist es hier doch.'
'Erziehung muss sein' Und auch wenn neun Kinder auf einmal plappern und toben - Oma Fäustle hat sie im Griff. 'Erziehung muss sein, alles darf man ihnen nicht durchgehen lassen, sonst tanzen sie einem auf der Nase herum', sagt sie und steht schon wieder auf, weil es eben an der Tür geklingelt hat. 'Jetzt kommt Liam.' Ein Leben ohne 'ihre' Kinder kann sich die 80-Jährige nicht vorstellen. 'Sie kommen doch auch so gerne.'