Zugesagt, abgesagt, verschoben und wieder aufs Gleis gehoben: Seit Jahrzehnten ist die Elektrifizierung von Allgäuer Bahnstrecken ein Thema, wenngleich bisher in diese Richtung nichts wirklich geschehen ist. In Waltenhofen-Hegge ist das anders. Genauer gesagt: am Alten Bahnhof, wo bis 1969 die Züge hielten.
Heute ist das Gebäude das Vereinsdomizil des Modelleisenbahnclubs Oberallgäu-Kempten (MEC). Das Allerheiligste sozusagen, eine riesige aus mehreren Modulen bestehende Modelleisenbahnanlage, ist in einem matt-grünen Waggon aus den 50er Jahren aufgebaut. Da fahren die Züge - natürlich elektrisch - durch hügelige Landschaften über Brücken und Tunnels, durch Dörfer oder Miniatur-Städte. Wurden auch an Großanlagen früher die Lokomotiven per Trafo manuell gesteuert, so hat längst auch im Modellbau die EDV Einzug gehalten: Alles was auf der Eisenbahnanlage fährt, blinkt oder leuchtet, wird per Computerprogramm gesteuert.
Dieter Meisel aus Kempten ist einer derjenigen, die an der Anlage ungezählt viele Stunden Hand angelegt haben. Das Tüfteln und Basteln an den Modellen sei für ihn so etwas wie "Abtauchen aus dem Alltag", sagt der 54-jährige Servicetechniker über sein Hobby. Im Schnitt investiert er nach eigenen Worten fünf Stunden Freizeit pro Woche in den Modellbau - mal mehr, mal weniger. "Man wird mit einer Anlage nie fertig", schildert Meisel. Da wird rumgeschraubt, modernisiert und erweitert. Zur Zeit umfasst die Großanlage über 300 Meter Gleise, 110 elektrische Weichen, 140 Signalanlagen. Der Oberallgäuer Verein verfügt aber auch noch über einige kleinere Modellbahn-Anlagen. Meisel hat sich mit dem Modellbau einen Kindheitstraum verwirklicht. Er erinnert sich noch gut daran, wie er als Kind mit seiner Tante in Nördlingen eine große Modelleisenbahnanlage bestaunte.
Da habe er sich fest vorgenommen: "So etwas mache ich auch einmal."
Jeden Mittwochabend treffen sich 15 bis 20 Aktive zum Clubabend der Modelleisenbahner - im Barraum, der im früheren Wartesaaal des Bahnhofs Hegge eingerichtet wurde.
Am Tisch sitzt Horst Göbel, der 63 Jahre alte Vorsitzende des MEC. Die Eisenbahn hat sein Leben bestimmt: 1974 ist er zur damaligen Bundesbahn gegangen, zuletzt war der Kemptener in München als Niederlassungsleiter für die Instandhaltung verantwortlich. 300 Lokomotiven stehen bei ihm zu Hause in Vitrinen. Bei den Modellbauern ist er nicht zuletzt auch deswegen, weil es dort gesellig zugeht. Ein Großteil seines Freundes- und Bekanntenkreises komme aus dieser Szene.
Dazu gehören auch Freunde aus Vereinen in anderen Städten, mit denen die Oberallgäuer seit Jahren Kontakt pflegen - beispielsweise in Chemnitz, in Köln und in St. Valentin bei Linz /Österreich.
"Wir sind eigentlich überaltert", sagt der bärtige Göbel. Das Durchschnittsalter der Vereinsmitglieder betrage etwa 52 Jahre. "Die jungen Leute interessieren sich heute nicht mehr so dafür", sagt er gelassen. Ursache sei wohl der Computer, an dem man seinen Spieltrieb genauso ausleben könne. Außerdem sei Modellbau auch nicht ganz billig. "Wer kann schon so einfach 200 oder 300 Euro für eine Lok auf den Tisch legen?"
Dass Kinder und Jugendliche nicht mehr so für Modelleisenbahnen zu begeistern sind, damit hat sich auch Dieter Meisel abgefunden.
Das sei schade, meint er, denn dieses Hobby fördere das handwerkliche Geschick junger Leute. Und: Modellbauer beschäftigen sich nach seinen Worten auch mit den Originalen und bekommen so Zugang zur Zeitgeschichte.
Dieter Meisel
Horst Göbel