Opferhilfe Eine Mutter erzählt vom Kampf gegen den pädophilen Ex-Lebensgefährten">

Artikel: "Missbrauch ist Mord auf Raten"

16. August 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung

Opferhilfe Eine Mutter erzählt vom Kampf gegen den pädophilen Ex-Lebensgefährten

Von Michaela behr |Oberallgäu"Ich hatte mir ein anderes Leben erträumt, war gefangen in einer Fantasiewelt." Rückblickend sieht Silke klar: Sieht, dass sie selbst Mittel zum Zweck war. Sieht, dass ihre Kinder über Jahre von ihrem Lebensgefährten aufs Schlimmste missbraucht wurden. Doch lange sah sie dies nicht. Inzwischen ist Silke stark, kämpft für ihre Kinder, kämpft für sich. Und weiß, sie ist dabei nicht allein: Dank dem Opferhilfeverein "Schaut hin" sowie verschiedenen Selbsthilfegruppen konnte sie neuen Mut und Selbstvertrauen schöpfen.

Damals war Silke verliebt in diesen Mann, der scheinbar Kraft verströmte, ihr signalisierte: "Ich fange Dich auf." Für ihn verließ sie den Ehemann mitsamt Kindern, wurde erneut schwanger. Mit den Kindern aus erster Ehe zog sie zum neuen Lebensgefährten. "Von da an war das Gefühl da - etwas stimmt nicht. Greifbar war es nicht", erinnert sich die Mutter zurück.

Kaum Kontakt zur Außenwelt

Im Nachhinein weiß sie: Vieles war komisch in dieser Zeit, etwa, dass sie die Schwangerschaft geheim halten sollte. Und dass sie irgendwann kaum mehr Kontakt zur Außenwelt hatte. "Er hat mein Selbstwertgefühl systematisch untergraben. Hat mich geschlagen, ich habe meine Persönlichkeit aufgegeben.

" Laut Theresia Kraft, Vorsitzende des Opferhilfevereins "Schaut hin", ist dies ein typisches Bild: "Pädophile schotten sich und die Familie nach außen ab, um zu verbergen, was hinter den Türen passiert." Es war die Sorge um die Zukunft der Kinder, die emotionale Abhängigkeit, die Silke trotz des komischen Gefühls bleiben ließ und in eine Fantasiewelt trieb.

Erst eine Kur ohne den Mann war es, die sie wachrütteln sollte: "Ich wollte ganz einfach nicht mehr heim, habe mich mit Gewalt abholen lassen." Von diesem Moment an, hinterfragte sie die Dinge, die sich im Haus abspielten.

Gefühle waren gelähmt

Es fällt der Mutter nach Jahren noch schwer, von dem Abend zu erzählen, an dem sie beobachten sollte, wie ihr Lebensgefährte ihren Sohn missbrauchte. "Meine Gefühle waren gelähmt, ich handelte in den folgenden Tagen wie ein Roboter", erinnert sie sich. Rief beim Frauennotruf an, sprach mit den Kindern, flüchtete bei Nacht und Nebel. Und erstattete Anzeige. Es waren erschütternde Dinge, die sie nach und nach erfuhr: Alle Kinder waren missbraucht worden - hatten miteinander aber nie darüber gesprochen. "Der Älteste dachte: Wenn ich es mit mir geschehen lasse, werden die anderen in Ruhe gelassen", so die Mutter. Und für den Jüngsten war Missbrauch Normalität. Mit Geschenken ebenso wie mit Drohungen waren die Kinder erpresst worden, waren permanent psychischer Gewalt ausgesetzt.

Und hatten sich unter diesem Druck auch der Mutter nicht anvertraut. "Missbrauch ist Mord auf Raten", sagt sie. Unterstützung suchte Silke in einer Selbsthilfegruppe: "Hier hatte ich das Gefühl, ich bin nicht die Einzige. Und ich wurde ernst genommen." Ohne diese Hilfe, ist sich die Mutter heute sicher, hätte sie die Folgezeit nicht überstanden: Der Prozess zog sich über Monate. Am Tag, als klar war, der einstige Lebensgefährte kommt für Jahre ins Gefängnis, brach sie zusammen.

Kinder und Mutter gingen in Therapie - erst jetzt registrierte Silke, dass auch sie einst missbraucht worden war. Ein wenig Normalität sollte einkehren. Doch inzwischen ist die Bedrohung wieder präsent - der einstige Lebensgefährte hat die Gefängnisstrafe abgesessen. Und hat beim Jugendamt beantragt, das Kind sehen zu dürfen.