Olympia II Sportpsychologe Walter Wölfle über seine Arbeit mit den deutschen Leichtathleten">

Artikel: "Mentale Stärke muss keine Sache der Erfahrung sein"

23. August 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
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Olympia II Sportpsychologe Walter Wölfle über seine Arbeit mit den deutschen Leichtathleten

Ottobeuren/Ashibetsu | johs | Knapp zwei Wochen lang war Sportpsychologe Walter Wölfle in Ashibetsu auf der japanischen Nordinsel Hokkaido, um einen Teil der deutschen Leichtathleten - darunter Zehnkämpfer und Stabhochspringer - mental auf die Olympischen Spiele in Peking vorzubereiten (wir berichteten). Die Wettkämpfe selbst verfolgte der 51-jährige Ottobeurer zu Hause vor dem Fernseher. Wir sprachen mit Wölfle über seine Arbeit mit den Sportlern und das Abschneiden der deutschen Leichtathleten.

Viele Leichtathleten sind hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Wie beurteilen Sie das Abschneiden der deutschen Sportler?

Wölfle: Unabhängig davon, ob wir eine oder drei Medaillen holen werden, ist das Abschneiden insgesamt enttäuschend. Viele Athleten sind unter ihren Möglichkeiten geblieben. Vor allem im Wurfbereich, der in den vergangenen Jahren ein Garant für Medaillen und gute Endkampf-Platzierungen gewesen ist. Bei den Sprint- und Langstrecken sind wir schon länger nicht mehr international konkurrenzfähig.

Welchen Eindruck hatten sie von den Athleten, bevor diese von Japan nach Peking aufgebrochen sind?

Wölfle: Es hat eine gute Atmosphäre geherrscht, auch die Trainings-Ergebnisse waren sehr gut. Allerdings kam bei einigen Trainern und Athleten Unmut auf, dass der Flug von Japan nach Peking für viele acht bis zehn Stunden gedauert hat - und das drei Tage vor den Wettkämpfen. Das soll keine Ausrede sein, aber solche Dinge muss man kritisch prüfen.

"Ein Spitzenathlet muss mit Druck umgehen können"

Hammerwerferin Betty Heidler sagte nach ihrem Ausscheiden im Vorkampf, dass auch die Nerven eine Rolle gespielt hätten. Wie schwierig ist es für die Athleten, sich auf den Punkt genau zu konzentrieren?

Wölfle: Ein Spitzenathlet muss in der Lage sein, seine Leistung zur richtigen Zeit abzurufen und mit dem Druck umzugehen. Es gibt Typen, die von Haus aus ein enormes Durchsetzungsvermögen mitbringen, andere müssen sich das mühsam erarbeiten. Bei einigen ist selbst diese Mühe vergebens. Die meisten davon schaffen es aber erst gar nicht bis zu Olympia.

Sind Sportler abgeklärter, wenn sie bereits mehrmals an den Olympischen Spielen teilgenommen haben?

Wölfle: Das würde ich nicht sagen. Gerade im Nachwuchsbereich gibt es Athleten, die frisch und ohne jeden Erfolgsdruck ihre Leistung bringen.

Beispiele dafür sind der erst 18-jährige Stabhochspringer Raphael Holzdeppe und Hochspringer Raul Spank, die sehr konzentriert und dennoch unbekümmert an die Sache rangegangen sind. Andere sind schon lange dabei, aber immer wieder aufs Neue verunsichert oder hadern mit kleinen Störfällen, die es international immer gibt. Mentale Stärke ist in erster Linie keine Sache der Erfahrung.

Zehnkämpfer Arthur Abele, den sie zuvor betreut hatten, musste verletzt aufgeben. Wie viel mentale Aufbauarbeit ist nun nötig?

Wölfle: Das war für ihn sicherlich bitter. Mit seiner sehr guten Form, hätte er Chancen für eine Platzierung unter den ersten Acht gehabt. Für ihn wird Peking eine wichtige Erfahrung sein. Ich glaube, dass er diesen Rückschlag relativ schnell wegsteckt.

"Es ist doch auch schön, dass Erfolg nicht immer planbar ist"

Die Wettkämpfe selbst haben Sie nur vor dem Fernseher verfolgen können. Ist es Ihnen schwer gefallen, nicht direkt eingreifen zu können?

Wölfle: Ich fiebere genauso mit, wie viele anderen Fernsehzuschauer auch. Doch wenn es mal nicht so gut läuft, stelle ich viele Frage und Hypothesen und versuche, sie mit beteiligten Personen vor Ort zu überprüfen. Zwischen Vorbereitung und realem Wettkampf besteht eben immer noch ein Unterschied. Aber das Schöne am Sport ist auch, dass Erfolg nicht immer planbar ist. Der beste Beweis ist der chinesische Hürdenstar Liu Xiang, der wegen einer Verletzung aufgeben musste. Da war der Wettkampf plötzlich wieder offen. Wenn der Sport diese Überraschungs-Momente nicht mehr hätte, würde ich mich nicht mehr dafür interessieren.