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Artikel: "Man kommt sich vor wie ein zahnloser Tiger"

18. November 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
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Interview Elmar Karg beschreibt den Frust der Westallgäuer Bauern, verteidigt den Bauernverband und kritisiert die Politik

Von Ingrid Grohe |WestallgäuAufruhr im Bayerischen Bauernverband: Gerd Sonnleitner, bayerischer und deutscher Bauernverbandspräsident, steht massiv in der Kritik. Wie die Westallgäuer Landwirte mit ihrem Repräsentanten umgehen und wie die Bauern ihre Lage ein halbes Jahr nach dem Milchstreik empfinden, wollten wir vom stellvertretenden Bauernverbandsobmann Elmar Karg wissen.

Herr Karg, Bauernverbandsvorsitzender Gerd Sonnleitner hat ein hartes Wochenende hinter sich. Wie stehen denn die Westallgäuer Bauern zu ihrem Verbandspräsidenten?

Elmar Karg: Die Stimmung ist sehr angespannt. Es herrscht großes Unverständnis dafür, wie sich die Dinge entwickeln. Gerade diejenigen, die dem Verband den Rücken stärken wollten, sind jetzt sehr enttäuscht.

Sie persönlich haben in den vergangenen Monaten den BBV gegen die Kritik verteidigt, der Verband vertrete nicht mehr die Interessen seiner Mitglieder. Sind Sie nicht auch enttäuscht, jetzt da in Berlin entgegen den Ergebnissen des Milchgipfels eine Quotenerhöhung um zwei Prozent beschlossen wurde?

Karg: Es sind sicher einige Sachen nicht ganz sauber gelaufen. Im Bauernverband gibt es Strukturprobleme. Es muss nicht sein, dass sich immer Sonnleitner vorne hinstellt. Der muss sich auf Bundesebene der Mehrheit beugen. Er trifft die Entscheidungen nicht allein. Nicht der Bauernverband hat uns hängen gelassen, sondern die Politik.

Wie ist Ihr Stand im Landkreis als Bauernverbands-Repräsentant?

Karg: Ich treffe immer noch auf offene Ohren. Natürlich hält man mir vor: "Du kannst nicht beiden Herren dienen." Letztlich bin ich aber mit keinem verheiratet, nicht mit dem BBV und nicht mit dem BDM. Ich vertrete den Milcherzeuger.

Und was sagen Sie dem Milcherzeuger in der jetztigen Sitution?

Karg: Dass die Sachlage bundesweit eine andere ist als bei uns in Bayern. Der Süden will Nachhaltigkeit und Sicherheit und sieht das in einem geordneten Markt. Das entspricht hier der Tradition. Im Norden geht es um Wachsen oder Weichen. Die sagen: "Wir geben Gas". Und wir setzten ja viel in Europa ab. Was bringt uns eine Reduktion der Quote um ein Prozent, wenn alle anderen Länder die Erhöhung wollen? Warum sind wir aus dem Handel mit Italien rausgefallen? Weil wir zehn Tage nicht liefern konnten. Das ist einfach so. Auch Milch ist austauschbar. Und der Verbraucher kann oftmals nicht nachvollziehen, woher die Milch im Regal kommt. Das sind bittere Wahrheiten. Man kommt sich vor wie ein zahnloser Tiger.

Haben Sie im Kreisverband seit Beginn des Milchlieferboykotts im Mai Austritte registriert?

Karg: Es hat sich noch in Grenzen gehalten. Gott sei dank. Bis Herbst waren es etwa 35 Kündigungen.

Trotz der negativen Entwicklung hört man von den hiesigen Bauern keine Proteste mehr in letzter Zeit - obwohl die Preise von den damaligen Forderungen weit entfernt liegen. Haben die Landwirte resigniert?

Karg: Unter den Bauern ist ein wahnsinniger Frust da. Der Milchpreis liegt gerade noch knapp über 30 Cent, bald wird die Marke nach unten durchbrechen. Ich habe mit vielen geredet. Die sagen: "Mir ist jetzt alles egal. Ich muss schauen, dass ich meine Sache auf die Reihe bekomme." Die haben auch keine Luft mehr. Die Bauern sind so was von gelähmt.

Sie selbst haben sich am Milchboykott beteiligt. Wie beurteilen Sie die Aktion aus heutiger Sicht?

Karg: Wir Bauern müssen erkennen, dass wir einen anderen Weg einschlagen müssen. Das geht nicht mit Krawallaktionen. Denn wir müssen auch aufpassen, dass unsere Akzeptanz beim Rest der Bevölkerung erhalten bleibt. Es ist für mich schockierend, wie wenig der Boykott gebracht hat im Verhältnis zu dem Opfer, das wir gebracht haben. Wir haben alles gegeben - persönlich, wirtschaftlich, sozial. Wie von Seiten der Politik damit umgegangen wird, das ist brutal. Seehofer hat uns vorgeführt. Wir haben geglaubt, der nimmt uns ernst, und sind bis jetzt leider eines Besseren belehrt worden.

Würden Sie nochmals bei einem Streik mitmachen?

Karg: Wenn ich an die Situation im Mai denke, sage ich: Ich würde sofort wieder mitmachen. Aber unter den jetztigen Bedingungen ist für mich klar, dass ich diesen Weg nicht mehr mitgehe. Einen Milchstreik wird es für mich nicht mehr geben.