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Leid und Brutalität täglich vor Augen

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Leid und Brutalität täglich vor Augen

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    Von Stephan Schöttl, Kaufbeuren/Marktoberdorf - 'Es wurde plötzlich geschossen, geschlagen, gebrandstiftet. Das ist menschenverachtend. Darum muss dieser Zustand bekannt werden - ohne Schönfärberei.' Das berichtet der in Kaufbeuren praktizierende Arzt Dr. Hans Neumeier nach seiner Rückkehr aus Nyala, der Provinzhauptstadt von Süd-Darfur im Sudan. Dort war der Mediziner drei Wochen für die Kaufbeurer Hilfsorganisation Humedica im Flüchtlingscamp Al Sherif im Einsatz. In einem so genannten 'wilden Camp' kümmerte sich Neumeier zusammen mit drei deutschen Mitarbeitern um die Menschen, die aufgrund der Darfur-Krise (siehe Wortweiser) die Flucht ergriffen. 20000 Menschen hausten dort in winzigen, selbst gebauten Behelfshütten. 'Errichtet waren sie mit Bambus und Ästen. Die Hütten boten nur ein wenig Schatten, aber keinen Schutz vor Regen', erzählt Neumeier. Es gab lange Zeit keine Wasserversorgung und zunächst keine sanitären Anlagen. Unter ähnlich einfachen Bedingungen fand auch die ärztliche Versorgung statt. 'Als wir in der Früh ankamen, war die Ambulanz immer schon von mehreren hundert Menschen belagert. Infolge des Andranges mussten am Abend Patienten auf den nächsten Tag vertröstet werden', so Neumeier. Neben den sprachlichen Problemen seien die Arbeitsbedingungen durch Hitze, Wind und hygienischen Standards erheblich erschwert worden. Neumeier und seine Kollegen wurden von den Flüchtlingen mit Freude empfangen. 'Trotz des erfahrenen Leids wurde gerne gelacht und auch am Abend auf der Rückfahrt zu unserem Humedica-Stützpunkt wurden wir von johlenden Kindern begleitet', erzählt der Marktoberdorfer. Doch auch während des Aufenthalts in Nyala erfuhren die deutschen Helfer, dass weiterhin Dörfer von der sudanesischen Polizei, dem Militär und arabischen Milizen überfallen wurden. 'Wir hörten täglich Hubschrauber im Tiefflug und Schüsse in der Nacht', so Neumeier.

    Überfall in der Nacht Vier Tage vor der Abreise versuchten Polizei und Militär das Flüchtlingslager gewaltsam zu räumen - mit Schlagstöcken, Tränengas und Gewehren. Neumeier selbst bekam diesen ersten Angriff noch nicht persönlich mit, da er und seine Kollegen die Nacht in einem rund fünf Kilometer entfernten Stützpunkt verbrachten. Doch der Anblick der Trümmer blieb ihm nicht erspart: Als das Team am nächsten Morgen zur Ambulanz fahren wollte, wurde ihm der Zutritt von Militär und Polizei verwehrt. 'Auch unsere Bitte, zumindest für zwei Stunden Schwerkranke behandeln zu dürfen, wurde abgeschlagen.' Einen Tag später erhielten die Ärzte wieder die Erlaubnis, im Al Sherif-Lager zu arbeiten. Da die sudanesische Regierung festlegte, dass das Lager nicht mehr aufgebaut werde, beschlossen die Mediziner, zwei weitere Tage zu arbeiten und die Ambulanz danach abzubauen. Doch es sollte erneut anders kommen: Am letzten Arbeitstag, zwei Stunden vor dem geplanten Ende der Sprechzeit, wurde die Humedica-Ambulanz Ziel eines weiteren militärischen Angriffes. 'Es bot sich ein grauenhaftes Bild. Rund 50 Polizisten hatten bereits unsere Ambulanz gestürmt und einer der Soldaten schlug vor meinen Augen auf eine alte Frau ein.' Selbst vor Neumeier machte der Soldat keinen Halt, doch dem Marktoberdorfer gelang es, den Angriff abzuwehren. 'Das einzige, was er von sich gab, war, dass wir niedergewalzt werden würden, wenn wir nicht sofort verschwinden. Eine weitere Kommunikation war nicht möglich', erzählt Neumeier. Auch nach seiner Rückkehr aus dem Krisengebiet stellt sich der Facharzt die Frage: Warum diese Brutalität? Eine Antwort darauf findet er freilich nicht. 'Aber es ist wichtig, über das Erlebte zu sprechen', sagt er. Zum einen gebe es die persönliche Betroffenheit, zunächst Augenzeuge der Angriffe auf die Zivilbevölkerung und zwei Tage später selbst Ziel dieser Aggression zu sein. 'Zum anderen ist es wichtig, aufzuzeigen, mit welchen Methoden Menschen andere Menschen bedrohen, verletzen und töten.' Dr. Neumeier, der selbst während seines Hilfseinsatzes in Lebensgefahr war, appelliert: 'Es soll keiner mehr sagen, dass diese Übergriffe weit entfernt passieren. Es ist wichtig, dass unsere Arbeit im Sudan fortgesetzt werden kann.' Ein neues Ärzteteam hat bereits am 6. November wieder die Tätigkeit in einem neuen Camp im Sudan aufgenommen. i Weitere Informationen zum Hilfseinsatz gibt es im Internet unter www. humedica. org

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