Von Stefanie Heckel |KemptenEs gibt Gesichter, die hat Eleonore Berger bis heute nicht vergessen. Dabei sind mittlerweile viele Jahrzehnte ins Land gegangen, seit die damals blutjunge Lehrerin an der Suttschule Kinder unterrichtet hatte. Aus den Kindern von einst sind längst gestandene Frauen geworden - bei einem Klassentreffen begegneten sie nun ihrer früheren Lehrerin Eleonore Berger wieder.
Die 82-Jährige hat eine bewegte Geschichte zu erzählen. Von den harten Nachkriegsjahren handelt sie und davon, wie zwei junge Frauen aus Kempten im Hauruck-Verfahren zu Lehrern ausgebildet wurden.
Aber der Reihe nach. Es ist kurz nach Kriegsende, als zwei 18-Jährige das Mädchenlyzeum in Kempten beenden. Eleonore und Marianne heißen die beiden Freundinnen - Lehrerinnen wollen sie zu diesem Zeitpunkt gar nicht werden. Eleonore nämlich würde gerne Kunst studieren und Marianne träumt von einem Medizinstudium.
Dann aber kommt für die beiden 18-Jährigen alles anders - ihre Eltern finden Gefallen an der Idee, dass ihre Töchter Lehrerinnen werden könnten. "Wegen der Entnazifizierung waren damals die Lehrer knapp", erinnert sich die 82-jährige Eleonore Berger. "Deshalb wurden Lehrerbildungsanstalten gegründet und wir in nur einem Jahr zu Lehrern ausgebildet." Musik, Pädagogik, Psychologie und viele Fächer mehr stehen für die jungen Frauen auf dem Stundenplan. Eleonore wird in Weißenhorn, Marianne in Neuendettelsau ausgebildet.
Klassen mit über 50 Kindern

Schule
Lehrer werden: So läuft der Quereinstieg in Bayern
Und so kommt es, dass bald darauf zwei junge Frauen, die gerade erst selbst der Schulbank entwachsen sind, in Kempten als Lehrerinnen ihren Dienst aufnehmen. Am Anfang kein leichtes Unterfangen - stehen den beiden doch Klassen mit über 50 Kindern gegenüber. "Ich war genau 20 Jahre und sieben Tage alt", blickt Marianne Straub zurück. Weil ihr die Praxis gefehlt habe, sei sie zunächst etwas hilflos gewesen.
Nur gut, dass sich eine erfahrene Kollegin über die Schulter blicken ließ. "Danach ging es dann", meint Straub. Ebenso wie ihre Freundin Eleonore ist sie überzeugt, dass in der Disziplin der Schlüssel zu erfolgreichem Lernen liegt. Wobei, so geben beide zu, die Methoden bisweilen fragwürdig gewesen seien. "Wenn die Kinder nicht spurten, haben sogar die Eltern gesagt, dass wir sie schlagen sollen", berichtet Eleonore Berger.
Schon damals, so meint sie, habe sie Gewalt gegen Kinder für einen "Irrweg" gehalten.
Zumal die Zeiten ohnehin hart genug gewesen seien: "Die Wohnverhältnisse waren katastrophal und die Kinder mussten Erwachsenenarbeit leisten", meint die 82-Jährige. In den feuchten Gassen hätten sich Ratten getummelt und in so mancher Wohnung gab es Wanzen. "Deswegen war es mir wichtig, den Kindern wenigstens in der Schule etwas Schönes zu bieten - und so gab es eigentlich immer Blumen auf dem Tisch und wir haben gesungen", sagt Eleonore Berger.
Und wie war es, nach 60 Jahren eine der Schulklassen von damals wiederzutreffen? "Schön", meint Eleonore Berger und lacht. "Und ein Viertel der Frauen hab ich sogar wiedererkannt."