Koks-Affäre: Kokainexzesse und Vergewaltigung: Anklageschrift enthüllt Abgründe im Leben des Kemptener Chef-Drogenfahnders

11. Oktober 2014 10:25 Uhr von Bernhard Junginger
Yvonne Salvamoser

Armin N.s kurzhaarige Verflossene, viele Reisen und Kontakte zu den Rockern 'Bandidos' werfen noch Fragen auf

Die Staatsanwaltschaft schildert in der Anklage gegen den ehemaligen Allgäuer Chef-Drogenfahnder genau, wie Armin N. in einer Februarnacht seine Frau vergewaltigt und zu töten versucht habe. Und wie im Büro des Top-Polizisten dann 1,8 Kilogramm Kokain gefunden wurden. Viele Fragen, die die Öffentlichkeit beschäftigen, seit die Allgäuer Zeitung die Affäre öffentlich gemacht hat, bleiben dagegen offen. Anklageschrift Kemptener Drogenfahnder

Unklar ist etwa, ob weitere Allgäuer Polizisten in die Sache verwickelt sind. So wird gegen eine Kollegin und frühere Geliebte von Armin N. weiter ermittelt. Spuren ihres Erbguts waren am Kokainvorrat des Angeklagten gefunden worden - doch sie bestreitet jede Beteiligung. Verdächtig gemacht hat sich die Frau womöglich durch einen Wechsel der Frisur: Sie könne ihr Haar geschoren haben, damit sich darin kein zurückliegender Kokainkonsum mehr nachweisen lasse.

"Mindestens seit 2007", heißt es in der Anklage, habe der oberste Allgäuer Drogenfahnder selbst Kokain konsumiert - "zur Belebung des Sexuallebens", wie er angibt. Zudem ist die Rede von Medikamentenmissbrauch. Wie er dies so lange vor seinen Polizeikollegen verheimlichen konnte, darauf geht die Anklage nicht ein. Seit 2009 ist es zu mehrfachen, teils aktenkundig gewordenen Fällen von häuslicher Gewalt gekommen - für Armin N. ohne Konsequenzen.

Belege dafür, dass der Fall einen Bezug zur italienisch dominierten Kemptener Kokainszene aufweisen könnte, fanden die Ermittler nicht. Entsprechende Hinweise zweier Neu-Ulmer Polizisten, die im Zusammenhang mit einem Großverfahren gegen zahlreiche Kemptener Drogenhändler vom Dienst suspendiert worden waren, nennt der Ermittlungsbericht "Spekulation".

In der Anklageschrift ist allerdings von privaten Kontakten die Rede, die der Angeklagte zu einem Mitglied der Rockerbande "Bandidos" unterhalten habe. Diese hätten aber wohl nichts mit dem Kokain-Fall zu tun.

Spezialisierte Fahnder haben die Vermögensverhältnisse des Top-Polizisten genau durchleuchtet. "Illegale Gewinne oder Bezüge zur italienischen Mafia" haben sie dabei nicht gefunden. Das Einfamilienhaus in einem idyllischen Dorf im Oberallgäu, eingerichtet im gehobenen Standard, habe sich das Doppelverdiener-Paar durchaus leisten können. Aufgefallen sind den Ermittlern allerdings zahlreiche Reisen, Kurzurlaube und Hotelaufenthalte, von denen nicht oder nur unvollständig klar sei, wie sie bezahlt wurden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass dafür illegales Geld verwendet wurde.

Die Herkunft der Drogen bleibt auch nach den fast achtmonatigen Ermittlungen unklar. Armin N. will das Kokain "zu Schulungszwecken" aus einer dienstlichen Quelle bezogen haben. Das Landeskriminalamt hat dazu zwei länger zurückliegende Kokainverfahren untersucht. Letztlich konnte das Material nicht zugeordnet werden. Was den Umgang mit Drogen in der Asservatenkammer betrifft, haben die Ermittler Ungereimtheiten entdeckt - etwa fehlende Vernichtungsnachweise für beschlagnahmtes Rauschgift.

Erst seit 2009, so ein Zeuge, werde nichts mehr ohne Verfügung der Staatsanwaltschaft herausgegeben. Zuvor sei vieles "auf Zuruf" gelaufen. Weiter ist zu lesen, dass ein führender Vertreter der Kemptener Staatsanwaltschaft anfangs gegenüber den Ermittlern mehrfach gesagt habe, er könne sich nicht an entsprechende Drogen-Sicherstellungen in seiner Amtszeit erinnern. Später räumte er ein, dass er "vor geraumer Zeit", Betäubungsmittel an die Polizei für Schulungszwecke freigegeben habe - möglicherweise auch an den Angeklagten. An Näheres erinnere er sich nicht. Bevor er erneut vernommen werden konnte, starb der Top-Jurist im Mai - laut seiner Behörde nach einer "kurzen, schweren Erkrankung".