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"Kinder brauchen Zeit, um sich zu entwickeln"

Weiler

"Kinder brauchen Zeit, um sich zu entwickeln"

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    "Kinder brauchen Zeit, um sich zu entwickeln"
    "Kinder brauchen Zeit, um sich zu entwickeln" Foto: matthias becker

    Seit diesem Schuljahr gelten neue Übertrittsregelungen an den bayerischen Grundschulen. Das Ziel der Neuerungen hat Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle in einem Schreiben an die Elternsprecher formuliert: "Schule wird so für Ihr Kind und Sie klarer und verlässlicher. Der häufig empfundene Leistungsdruck kann so reduziert werden." Eltern und Lehrer an der Volksschule Weiler allerdings nehmen diesen Effekt nicht wahr. "Das System hat sich in keinerlei Weise geändert. Es gibt nur neue Begriffe", sagt Silvia Messing, Elternsprecherin und Mutter dreier Töchter. Für sie steht fest: "Es gibt nur einen sinnvollen Weg, Druck rauszunehmen - und zwar mit einer längeren Grundschulzeit."

    Doris Sanktjohannser ist die Lehrerin von Silvia Messings jüngster Tochter Belinda, die die vierte Klasse der Grundschule Weiler besucht. Die 39-jährige Pädagogin stimmt der Mutter zu, indem sie an die Zeiten erinnert, als es noch die vierstufige Realschule in Bayern gab. "Damals konnten Kinder zwei Jahre länger zusammenbleiben und hatten Zeit, sich zu entwickeln." Diese Zeit wäre für manche Buben und Mädchen segensreich, sagt Sanktjohannser. Denn: "Jedes Kind durchläuft andere Entwicklungsstufen."

    Weder die Form der Leistungsinformation für die Eltern noch die genaue Fixierung der Notendurchschnitte für den Übertritt auf Realschule und Gymnasium sind in Augen von Messing und Sanktjohannser die Knackpunkte.

    Es geht um Grundsätzliches, erläutert Grundschullehrerin Sanktjohannser: Stoffdichte - "man geht ein bisschen gehetzt durch das Jahr" -, Klassengrößen - "bei 29, 30 Kindern kann von individueller Förderung keine Rede sein" - und eben der Übertrittszeitpunkt. "Es ist immer die Rede vom Übertritt nach der vierten Klasse. In Wirklichkeit fällt die Entscheidung viel früher", erklärt Silvia Messing. Und ab dem ersten Tag der vierten Klasse sei der Wechsel an die neue Schule bei den Kindern beherrschendes Thema.

    "Super - Gut - Rest"

    Dabei komme der ständige, subtile Druck nicht mal so sehr von überehrgeizigen Eltern - Messing und Sanktjohannser loben die "sehr vernünftigen Gespräche" mit Weilerer Viertklasseltern. Der Druck entstehe ganz von selbst unter den Kindern, macht Doris Messing deutlich. "Da weiß ein Kind, dass der Freund zur Realschule wechselt und fürchtet: Für mich reicht es nicht", ergänzt Doris Sanktjohannser. "Im Bewusstsein der Familien wird die Dreigliedrigkeit unseres Schulsystems so wahrgenommen: Super - Gut - Rest. Und als Eltern fragt man sich: In welcher Kategorie will ich mein Kind haben?", so die Pädagogin.

    Welche wesentlichen Fortschritte da die Neuerungen zum Übertritt bringen sollen, ist den beiden Frauen unklar. Beispiel Zwischenbericht. Diesen erhalten die Viertklässler anstatt eines Zwischenzeugnisses schon Mitte Januar. Diese Berichte bestehen jedoch nur aus Noten, nicht aus ausführlichen Erläuterungen wie die Zeugnisse. "Ein Zeugnis wäre hilfreicher", meint Doris Sanktjohannser. "Damit hätte ich eine solide Grundlage für die Elterngespräche." Neu ist auch die Vorgabe, Proben immer eine Woche im Voraus anzusagen. Tatsächlich aber gaben schon bisher die meisten Lehrerinnen und Lehrer den berühmten "Wink mit dem Zaunpfahl", wenn ein Test geplant war.

    Und schließlich der Elternwille, der laut Kultusministerium beim Übertritt mehr Gewicht haben soll. Dazu stellt Silvia Messing fest: "In Weiler überlegen sich immer mehr Eltern, ob sie ihre Kinder auf das Gymnasium schicken - auch wenn diese gut sind. Bei dem Stress, den bayerische G8-Schüler erleben, wollen sie das nicht um jeden Preis durchziehen."

    Die erfahrenen Frauen sind sich einig: Der Druck an den Schulen ist letztlich das Ergebnis einer zunehmend leistungsorientierten Gesellschaft. Dabei sei Weiler von dieser Tendenz noch nicht mal voll betroffen. "Hier vertrauen noch mehr Menschen der Volksschule. Sie hat einen guten Ruf und ist am Ort", so Doris Sanktjohannser.

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