Kinder- und Jugendpsychiatrie in neuen Räumen Kempten (buc). Sie leiden an Persönlichkeitsstörungen, haben sexuellen Missbrauch erlebt, sind aggressiv oder verängstigt, fürchten sich vor Schule und Klassenkameraden: Mädchen und Buben im Alter von sechs bis 18 Jahren, die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt werden. Die Einrichtung ist jetzt von der Immenstädter Straße ins ehemali- ge Schwesternwohnheim des Bundeswehrkrankenhauses gezogen. Viel mehr Platz gibt es da für die jungen Patienten. Platz, der leider auch bitter nötig ist, wie Oberarzt Theodor Christa gestern betonte.
Die Jugendpsychiatrie für den Süden Schwabens wird von der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) betrieben. Es gibt dort 20 voll und 15 teilstationäre Plätze sowie eine Ambulanz. Damit, so KJF-Sprecher Winfried Karg, stehe auch Dank des unermüdlichen Einsatzes von Bezirksrätin Erika Winkler endlich das komplette Angebot der Kinder- und Jugendpsychiatrie zur Verfügung. Die Kosten des Umbaus und des Anbaus für die Ambulanz belaufen sich auf rund 3,6 Millionen Euro. Der Freistaat unterstützt das Projekt mit 2,2 Millionen.
Als der Standort Kempten quasi als Außenstelle des Augsburger Krankenhauses Josefinum ins Gespräch gebracht wurde, glaubten viele Skeptiker, es bestehe keine ausreichende Nachfrage. Karg: 'Leider sind wir von der Realität überholt worden. Der Bedarf ist riesig, die Warteliste lang'. 1998 wurden 127 Mädchen und Buben angemeldet, 1999 waren es 255, 2000 kamen 292 Anmeldungen zusammen und im Vorjahr 288. Diese starke Nachfrage, so Karg, hänge auch damit zusammen, dass für viele Patienten und deren Eltern der Weg nach Augsburg zur Behandlung zu weit war. Leider sei das Bild, das der Öffentlichkeit von psychisch Kranken vermittelt werde, oft falsch und verzerrt. Jeder, betonte er, müsse sich über eines klar sein: 'Es kann Situationen geben, durch die man psychisch krank wird. Und treffen kann es jeden.'
'Nachfrage steigt massiv'
'Erschreckend' sei die massiv steigende Nachfrage, erklärte auch Theodor Christa, der die Einrichtung am Haubensteigweg leitet. Die häufigsten Fälle: Schulische Probleme, emotionale Unsicherheit, Kinder, die Opfer eines 'Scheidungskrieges' geworden sind, an Psychosen oder Essstörungen leiden, als Täter oder Opfer sexuellen Missbrauch erlebt haben, Drogen zu sich nehmen. Seit 1998 verstärke alle halbe Jahre ein weiterer Psychologe oder Arzt das Team, dennoch liege die Wartezeit in der Ambulanz bei sechs Monaten. Für die gründliche Diagnose eines Falles brauche man etwa sechs bis acht Stunden, dann könne man daran gehen, mit dem Kind zu arbeiten, es anzuleiten. Wert legt Christa auf die Feststellung, dass die Einrichtung keine 'Reparaturwerkstatt für Kinder sei'. Stets müssen das Kind, seine Familie und seine Umgebung betrachtet werden. Leider fehle oftmals die Unterstützung durch das Elternhaus.
Der jahrzehntelange Kampf um die Jugendpsychiatrie habe sich letztendlich gelohnt, freute sich Bezirksrätin Erika Winkler. Nun müsse man als nächstes noch erreichen, einen Lehrer für die Kinder zu finden. Eigens geschaffene Räumlichkeiten im 4. Stock stehen bereit, Verhandlungen mit dem bayerischen Kultusministerium laufen. Ins ehemalige Schwesternwohnheim des Bundeswehrkrankenhauses ist jetzt die Kinder- und Jugendpsychiatrie gezogen. In einem Anbau (vorne rechts) ist die Ambulanz untergebracht. Die Nachfrage steigt Jahr für Jahr, die Patienten sind zwischen sechs und 18 Jahre alt. Fotos: Diemand