Wer lieber mit den berüchtigten "alten Tanten" Tango getanzt hätte, wurde angenehm enttäuscht: Eine rassige Mittvierzigerin im Rasta-Look bahnte sich ihren Weg durchs Publikum und trug mit klangvoller Altstimme und vollendeter Artikulation vor, was bei Georg Kreislers Gastspiel im PiK vor 28 Jahren ungesungen blieb. Am Klavier begleitet wurde die Diseuse von Jochen Hochstenbach, im Hauptberuf 1. Kapellmeister am Badischen Staatstheater Karlsruhe.
Sandra Kreisler macht dem Publikum erst einmal klar, dass sie keine Fußstapfentreterin ist. Die US-Staatsbürgerin, die heute in Berlin lebt, hat schon lange keinen Kontakt mehr zum Vater, den sie jedoch als Künstler verehrt. Und wenn alle deutschsprachigen Chansonniers Kreisler singen, kann dann ausgerechnet die eigene Tochter abstinent bleiben? Der Kompromiss: Getreu ihrem Motto "nicht die Asche anzubeten, sondern die Flamme weiterzureichen" lässt Sandra Kreisler die "alten Sachen" beiseite, um sich mit ihrer winzigen Prise Wiener Dialekt den "schönen, verrückten, versponnen" - und zeitlos gültigen Liedern aus den Jahren 1960 bis 2000 zu widmen.
In diesen Liedern rechnet Georg Kreisler in bittersüßer Manier mit den Widersachern der Liebe ab. In "Er war ein Er" besiegt der Intellekt den Eros, in "Ein Politiker hat keine Liebe" sind es Macht und Gewalt. "Wenn ich lieben dürfte ": immer steht die Liebe im Konjunktiv. Das nimmt nicht weiter Wunder, denn auch Kreislers hintergründige und schwarzhumorige Chansons der 50er und 60er Jahre wie "Taubenvergiften im Park" zeugen von einem nicht eben rosigen Menschenbild. Dabei wirkt nicht nur der Charakter der Menschen einer echten Verständigung entgegen ("Hauen statt Vertrauen"), sondern auch die Sprache, die Lügen transportiert und Nähe verhindert.
Sandra Kreisler jedenfalls weiß mit Sprache umzugehen: Die mehrsprachige Künstlerin verdankt sowohl ihre glasklare Artikulation (auch bei hohem Wortaufkommen) als auch die elegant formulierten Überleitungen ihrer Erfahrung als Sprecherin und Moderatorin. Vom Vater gerbt hat sie wohl auch das mimische und gestische Talent.
So richtig lebendig wird der Abend, nachdem alle Konserven geschlossen sind und die Kreisler gemeinsam mit Ehemann Roger Stein am Klavier die Lieder ihrer 2006 gegründeten Formation "Wortfront" vorträgt. Lieder wie "Geben Sie 8" oder "Die Klofrau vom Hauptklo im Kanzleramt" verbinden ein hohes Sprachniveau mit bissigem Witz und modernen Rhythmen. Besonders schön: das poetische Lied über die "Zeit", deren Puls das Metronom vorgibt.

Fertigstellung dank KI
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Zwischen Chanson und Hip-Hop
Von diesem Cross-over zwischen literarischem Chanson und Hip-Hop hätte man gern noch mehr gehört. Da Publikum und Diseuse sich offensichtlich mochten, bleibt nach sechs Zugaben (darunter auch lachanfälligere Erfolgslieder des Vaters wie der "Opernboogie") die Hoffnung auf ein Wiedersehen.