Von Stefanie Dodel|Unterallgäu/UngerhausenGenüsslich knabbert das kleine rotbraune Tier an einem Zweig. Das Bild wackelt, dann ist das Känguru wieder zu sehen. Noch immer nagt es an den Blättern. Ein Knirschen ist zu hören, das Tier blickt auf - und knabbert seelenruhig weiter. Vier Minuten und zwölf Sekunden ist die Filmsequenz lang, die Frank Mittag mit seiner Digitalkamera aufgezeichnet hat. Aber nicht etwa in einem Zoo. Nein. Das Känguru sitzt mitten im Unterallgäu, einen Meter neben der Bahnlinie Memmingen-Buchloe am früheren Ungerhauser Bahnhof.
Wie es dorthin gekommen ist, weiß Frank Mittag nicht. Der 46-jährige Dresdner arbeitet seit einigen Wochen beim Bahnhof, er ist Bauüberwacher und hat ein Auge darauf, ob bei den kürzlich abgeschlossenen Arbeiten an der Bahnstrecke alles ordnungsgemäß erledigt wurde. Schon Ende Juli sei unter den Arbeitern das Gerücht umgegangen, dass einer ein Känguru die Bahnlinie entlang hüpfen sah. 'Aber das habe ich nie so recht geglaubt. Wie soll schon ein Känguru hierher kommen?', sagt er. Dann aber meldete plötzlich ein Lokführer dem Fahrdienst vor Ort, dass er direkt neben den Gleisen ein Känguru gesehen habe. Frank Mittag bekommt das mit, zögert nicht lange, packt seine beiden Kameras und geht zu der Stelle. 'Und da saß es.' Zunächst schießt der 46-Jährige ein paar Fotos, dann dreht er den kleinen Film. 'Bei einem Foto könnte man ja sagen, dass das alles nur gut zusammenmontiert ist. Einem Video muss man glauben', sagt er, während auf seinem Laptop die Filmsequenz abläuft. Der Dresdner schüttelt den Kopf. 'Ich kann es selbst nicht glauben. Ein Känguru, mitten im Unterallgäu.'
'Was, ein Känguru? Hier?' fragt auch Steluta Szanto. Sie wohnt direkt gegenüber des Ungerhauser Bahnhofs. Gesehen habe sie dort bisher sicherlich keines, sagt sie und schüttelt noch einmal ungläubig den Kopf. Aber in Schwaighausen, zwei Ortschaften weiter, da halte jemand Kängurus.
Thomas Kuhn ist dieser Jemand. Neben Lamas, Präriehunden, Schildkröten und Affen hat er Kängurus. Zwei. Aber: 'Die sind da, alle beide', sagt er. Ausgebüxt sei keines von ihnen. Er sei seines Wissens aber auch der einzige in der Umgebung, der die australischen Nationaltiere hält. Der nächste Zoo ist weit entfernt, und 'Zirkus Krone', der erst kürzlich in Memmingen gastierte, hat ebenfalls keine.
Niemand vermisst ein solches Tier
Ratlos sind auch Polizei und Tierschutzverein: Jüngst habe zwar ein Lokführer gemeldet, ein Känguru spätabends neben den Gleisen gesehen zu haben, aber 'vermisst wird keines', sagt Thomas Renz von der Memminger Polizei. Und auch beim Memminger Tierheim hat sich laut Marga Brader niemand gemeldet, dem ein Känguru abhanden gekommen ist. Was nun mit dem Tier passiert, das in gefährlicher Nähe zu den Bahngleisen lebt, ist noch unklar. Das Unterallgäuer Veterinäramt macht sich derzeit kundig, was man in Sachen Känguru unternehmen könnte. 'Einen solchen Fall hatten wir noch nie', sagt Dr. Armin Mareis. Herausgefunden hat er inzwischen, dass es sich bei dem Tier um ein Rotnacken-Wallaby handelt.
'Hoffentlich passiert ihm nichts', sagt Frank Mittag besorgt. Wann immer er zwischendurch Zeit hat, will er weiterhin nach 'Wally' Ausschau halten.