Von Herbert Wittmann Bernbach - Im Jahr 1766 wurde die mittelalterliche Kirche von Bernbach umgebaut. Unter anderem erhielt sie neue Putzdecken, die der Augsburger Maler Iganz Paur, ein Schüler von Matthäus Günther, mit bedeutenden Fresken versah. Neben den beiden großen Deckenbildern verdient auch die Darstellung von 13 (!) Aposteln höchste Beachtung.
Adler, Buch, Kelch und Schlange Unmittelbar über dem linken Seitenaltar befindet sich das Bild, dem heute unsere Betrachtung gelten soll. Der 'Stuck' um das Bild ist, wie bei allen anderen Bildern auch, nicht echt, sondern nur gemalt. Auf elegante Art und ganz in barocker Manier wird unser Auge getäuscht! Grau in grau, wie es dem Geschmack der Zeit entsprach, fügte der Maler Rocaillen zu einer kunstvollen Kartusche. Den Hintergrund bildet ein goldenes Damastmuster. Dargestellt ist ein offenbar noch sehr junger Mann, bartlos, bekleidet mit einem grünen Unterkleid und einem roten Mantel. Den Kopf hat er zur linken Schulter gewendet, in der linken Hand hält er einen Kelch mit einer kleinen Schlange, mit der rechten umfasst er ein dickes Buch. Darüber sehen wir einen Adler. Jeder, der halbwegs über unsere Heiligen Bescheid weiß, wird den Jüngling sofort als Johannes, den Evangelisten, identifizieren; denn Buch und Adler sind dessen Attribute. Warum jedoch ist dieser Johannes so jung, und warum gab ihm der Maler auch noch Kelch und Schlange bei?
Johannes einer von den Zwölfen Johannes gehörte zum bevorzugten Kreis der Jünger Jesu. Wie Petrus und Andreas, wie sein Bruder Jakobus und sein Vater Zebedäus war er Fischer (Mk 1,14 - 20 und 3,17). Die Verklärung Jesu durfte er ebenso miterleben wie dessen Gebet in Getsemani (Mk 9,2 und 14,33). Und Johannes gilt schließlich als jener Jünger, der beim Abschiedsmahl an der Seite Jesu lag und den Jesus liebte (Joh 13,23). Mehrmals noch wird er so genannt (Joh 19,26; 20,2 und 21,7). Kein Zweifel: Außer Petrus konnte sich kein anderer von den Zwölfen ähnlicher Auszeichnungen erfreuen wie Johannes. Freilich - über sein Alter steht nichts in den Evangelien.
Das Evangelium nach Johannes Nach altkirchlicher Überlieferung wirkte der Apostel Johannes später hochbetagt in Kleinasien und schrieb dort, nämlich in Ephesus, das vierte Evangelium und seine Briefe. Zuvor schon, als Verbannter auf Patmos, soll er die nach ihm benannte Offenbarung verfasst haben. Geht man von einer Entstehung des Evangeliums zwischen 90 und 100 nach Christus aus, so wird rasch klar, dass der Verfasser zur Zeit Christi noch sehr jung gewesen sein musste. Folglich wird Johannes in Apostelzyklen fast immer als bartloser Jüngling dargestellt - so wie in Bernbach. Doch auch als Evangelist wird er aus langer Tradition im jugendliche Alter abgebildet. Das Attribut des Apostels (Kelch mit Schlange) und die Attribute des Evangelisten (Buch und Adler: Himmelsflug seiner Gedanken!) manifestieren zusammen mit dem jugendlichen Aussehen die Identität der beiden Gestalten. Es sei jedoch nicht verschwiegen, dass heute die Gleichsetzung des Apostels mit den Verfassern von Evangelium und Offenbarung zunehmend als unzutreffend betrachtet wird.
Legenden füllen Wissenslücken Kehren wir zurück zur Apostelgeschichte, in der Johannes noch mehrmals namentlich genannt wird (Apg 1,13; 3,1 - 11; 4,13 usw.), ohne dass wir Näheres über seine späten Jahre erfahren. Rasch füllten Legenden die Wissenslücken. So soll Johannes gezwungen worden sein, der Diana zu opfern oder das Gift zu trinken, an dem zwei Verbrecher vor seinen Augen tot umgefallen sind. Johannes schlägt das Kreuz über dem Kelch, das Gift entweicht als Schlange, er trinkt ohne Todesfolge, wirft seinen Mantel auf die Verbrecher, und diese erwachen zum Leben. Ob Apostel, Evangelist oder beides: Für die Johannesverehrung spielt dies keine Rolle. Johannes ist der Patron der Beamten, Buchhändler, Schriftsteller und Weinbauern.