Artikel: Im Gewand von Clemens Wenzeslaus

23. Dezember 2002 20:30 Uhr von Allgäuer Zeitung

Künstlerisches Kleinod in der Sakristei von St. Martin

Marktoberdorf(af). Die Stadtpfarrkirche St. Martin ist geeignet, an mehreren Stellen ein 'Aaah' und 'Oooh' auszurufen. Wenn Stadtpfarrer Wolfgang Schilling eine Besuchergruppe jedoch in die Sakristei führt und dort unser heutiges, für dieses Jahr letztes, Adventstürchen öffnet, hat er spätestens dann die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuhörer. 'Dieses Messgewand stammt aus der Zeit von Kurfürst Clemens Wenzeslaus', verkündet er und darf sich eines Ausdrucks des Erstaunens sicher sein. Ob der Kirchenregent das Schmuckstück überhaupt selbst trug, steht nicht fest. Zumindest aber hat er es gestiftet und das allein ist beeindruckend genug. Denn vielfach befinden sich solche Gewänder heutzutage im Museum. Die liturgische Bekleidung, das Parament von Clemens Wenzeslaus, zieht durch seine tiefrote Farbe und seine kostbare Goldstickerei jeden Blick auf sich. In feinster Klosterarbeit finden sich diverse Blüten und Ornamente darauf. Die Fertigung muss sich wohl über Monate hingezogen haben.

Obwohl es an die 200 Jahre alt ist, wird das barocke Messgewand auch heute noch getragen: an Palmsonntag, an Pfingsten und bei den Firmungen. Stadtpfarrer Schilling empfindet in solchen Augenblicken, wenn er mit diesem Parament am Altar steht, nicht nur Pietät dem Stifter gegenüber, sondern auch 'ein Gefühl der Ehrfurcht und das Bewusstsein der Kontinuität'. Denn schon Generationen von Priestern vor ihm trugen es und, so wünscht er sich, werden es auch nach ihm tun. Noch älter als das Gewand ist der Schrank, in dem es aufbewahrt wird. 1616 - also kurz vor Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges - wurde das Möbelstück gefertigt, das einen vor Bewunderung über die Handwerkskunst staunend innehalten lässt. Gut vier Meter lang ist der Sakristeischrank, mehr als drei Meter hoch und einen Meter tief. Genau genommen besteht er gleichsam aus zwei Etagen: die untere ist für die Gewänder der Ministranten bestimmt, die obere für die der Geistlichen. Mit großen Schlüsseln und Griffen, die sich nicht gleich beim ersten kräftigen Zug aus ihrer Verankerung lösen, lassen sich die acht wuchtigen Schranktüren öffnen. Selbst sie sind überreich verziert mit verspielten Aufsätzen, geschwungenem Sims und Giebel. Wie zu der Zeit des Entstehens üblich, diente so genanntes geflammtes Eschenmaserholz als Furnier. Mit dem Schrank zogen zugleich die ersten Frauen in die Sakristei ein - zumindest in Form mehrerer Köpfe. Ob es sich da um einen etwas querdenkenden Meister handelte, der sie anfertigte, ist nicht überliefert. Wohl aber spricht die Literatur von 'originellen Frauenköpfchen, die ihrer guten Qualität wegen aus einer beachtlichen Bildhauerwerkstatt stammen müssen'.