Buchenberg-Kreuzthal: «Ich spürte immer die Gefahr»

21. August 2010 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung
cilia schramm

Zeitreise - Die in Algerien lebende Kunstmalerin Bettina Heinen-Ayech (72) besucht das Oberallgäuer Dorf Kreuzthal Während des Zweiten Weltkriegs fand sie dort mit ihrer Familie Zuflucht vor den Nazis und blieb vier Jahre

Es war die Zeit der Nazis: Vier, fünf Jahre mag das rotblond gelockte Mädchen gewesen sein, als die Familie Heinen von Solingen nach Kreuzthal bei Buchenberg flüchtete. Hier, im Dorfidyll an der Grenze von Bayern und Baden-Württemberg, wähnten sich im Zweiten Weltkrieg einige verfolgte Schriftsteller und Künstler in Sicherheit. Schutz fand damals auch Bettina Heinen-Ayech. Die in Algerien lebende 72-jährige Kunstmalerin besuchte nun den Schauplatz ihrer Kindheit. Mit dabei waren auch der Kreuzthaler Buchautor Dr. Rudi Holzberger und ein TV-Team des Bayerischen Rundfunks.

Mehr als sechs Jahrzehnte sind vergangen, seit die Meisterschülerin des Malers Erwin Bowien (1899 - 1972) rund vier Jahre in Kreuzthal verbrachte. 1946 kehrte sie mit ihren Eltern in ihre Heimatstadt Solingen zurück. Heute fühle sie in dem Grenzdorf zwar die Vergangenheit, aber nicht mehr die bedrückende Enge des Krieges, erzählt die Aquarellkünstlerin. Mehr noch: «Dieser Ort ist wunderschön. Ich könnte sofort wieder hier leben.»

Ähnliches empfindet Bettina Heinen-Ayech, wenn sie das leerstehende Schindelhaus betritt, das ihrer Familie einst Schutz vor der Gestapo geboten hat. «Dieses Haus lebt», wispert die Frau. «Aus jeder Ecke spricht ein Gedanke von jemandem, der hier gelebt hat.»

Ja, sie fühle sich ganz daheim in den alten Mauern, in denen auch ein Freund der Familie, Erwin Bowien, gern gesehener Gast war. Etliche Bilder des Malers, die damals entstanden sind, zieren noch heute die Stuben von Kreuzthal. Seine kostbaren Werke hat er gegen Butter, Milch und Käse oder, was seine Schülerin bei ihrem Besuch von Einheimischen erfährt, gegen einen Regenschirm eingetauscht.

«Bowien war in Augsburg denunziert worden und floh in letzter Minute nach Kreuzthal-Eisenbach», schreibt Rudi Holzberger in seinem Buch «Die Adelegg - Das dunkle Herz des Allgäus». Auch Bettinas Vater Hanns Heinen waren die Machthaber auf den Fersen. Der Chefredakteur der Solinger Zeitung fand in Kreuzthal, dem Urlaubsdomizil der Familie, Zuflucht.

«Man hat den Krieg selbst im Kreuzthal nicht erlebt», erinnert sich Bettina Heinen-Ayech. Einmal habe es einen Luftangriff gegeben. Ein französischer Bomberpilot habe sich mit dem Fallschirm gerettet. Und dann war da noch der eine oder andere regimetreue Zeitgenosse im Dorf. «Ein unabwägbares Risiko», erzählt sie. «Meine Kindheit war beschützt, aber ich spürte immer die Gefahr.» Die jungen einheimischen Männer seien damals an der Front gewesen, ihr Heimatdorf voll von Flüchtlingen und Kriegsgefangenen, ergänzt Holzberger.

Kein Hunger: Im Wirtshaus wurde schwarz geschlachtet

Gut erinnert sich Heinen-Ayech daran, wie im Keller des Wirtshauses schwarz geschlachtet wurde. Hunger habe sie in den Kriegsjahren nicht gekannt. Und sie erzählt lebhaft von der Bäckerstochter. Die junge Frau habe von einem französischen Kriegsgefangenen ein Kind bekommen. «Der Bürgermeister sagte, um Gottes Willen, geben Sie den bloß nicht als Vater an.» Der Franzose sei ins KZ verschleppt worden. Sein Sohn wuchs unbehelligt auf. Ein Fall, der auch Holzberger bekannt ist. In einem Bildband über Bettina Heinen-Ayech entdeckt er ein Kinderporträt, ein fröhliches Mädchen mit rotblonden Locken. Ein Lächeln huscht übers Gesicht der Künstlerin: «Bowien hat mich gemalt, hier in Kreuzthal.»