Notfallseelsorge Wolfgang Ruprecht kümmert sich um Menschen, die traumatische Ereignisse verarbeiten müssen">

Artikel: "Ich halte die fürchterliche Situation mit aus"

31. Oktober 2008 00:00 Uhr von Allgäuer Zeitung

Notfallseelsorge Wolfgang Ruprecht kümmert sich um Menschen, die traumatische Ereignisse verarbeiten müssen

Von Sylvia Rustler |Memmingen/UnterallgäuEs ist später Nachmittag. Die Rettungsleitstelle ruft Notfallseelsorger Wolfgang Ruprecht auf dem Handy an. Ein Mann wurde überfahren. Ruprecht lässt alles stehen und liegen und setzt sich in seinen alten Mercedes. Er hält kurz inne und betet: "Gott, jetzt brauche ich deine Hilfe". Dann fährt er los.

"Wenn das Handy läutet, steigt der Adrenalinspiegel von Null auf 100", sagt der Mann mit dem goldenen Ohrring. An einem Lederband um den Hals trägt er ein Holzkreuz mit einem Bild des Heiligen Benedikt. Der 46-Jährige ist Gemeindereferent in der Pfarrei St. Ulrich in Amendingen und leitet die Notfallseelsorge und Krisenintervention Memmingen/Unterallgäu-West.

Bei dem Unfall vor einigen Jahren in Memmingen fährt Ruprecht wie immer los, ohne sich vorher zurechtzulegen, was er tut. "Ich komme mit leeren Händen. Ich habe kein fertiges Konzept. Ich bin einfach da und halte die fürchterliche Situation mit den Betroffenen aus."

Als Ruprecht an der Unfallstelle ankommt, sind Rettungskräfte im Einsatz. Der Autofahrer, der den Mann überfahren hat, steht abseits, völlig durch den Wind. Der Seelsorger mit der weichen, ruhigen Stimme geht auf ihn zu: "Ich bin jetzt für sie da."

Neben Ruprecht arbeiten bei der Notfallseelsorge in Memmingen elf Personen. Wer Dienst hat, rücke aus, wenn Menschen mit traumatischen Ereignissen wie dem Tod des Kindes und Ehemanns konfrontiert sind und versuche, "ein Anker" zu sein. Einige Betroffene weinen, andere werden aggressiv. "Jeder verarbeitet belastende Situationen anders."

Der Not eine Sprache geben

Der Autofahrer von damals ist zunächst still. "Gerade Männer tun sich oft schwer, sich zu artikulieren", erzählt Ruprecht. Der Notfallseelsorger vertraut in solchen Fällen auf seine Intuition. Er geht mit dem geschockten Mann ein Stück, lässt ihn erzählen und versucht so, "der Not der Seele Sprache zu geben". "Wenn jemand in Bewegung kommt, kommt oft auch innerlich etwas in Bewegung. So banal das klingt."

Außerdem bietet Ruprecht dem Autofahrer sein Handy an. Dieser nimmt es, ruft seine Frau an und sagt: "Ich habe gerade jemanden tot gefahren." Handlungen wie diese sind nach den Worten des Seelsorgers der erste Schritt zur Bewältigung. Er rate zum Beispiel auch Angehörigen von entstellten Unfallopfern, noch mal zu den Verstorbenen zu gehen und Abschied zu nehmen. Aber er dränge sie nicht.

Ruprecht ist Notfallseelsorger seit 2001. Der fünffache Vater aus Eisenburg hat dafür eine Zusatzausbildung absolviert. "Ich glaube, dass ich mit schwierigen Situationen gut umgehen kann", sagt er und fügt hinzu: "Wenn man sieht, dass man das Gute tun kann, muss man es tun." Auch, wenn es "unbequem" und belastend sei.

Nach dem Autounfall in Memmingen fährt Ruprecht nach Eisenburg, geht in die Kapelle und betet. "Ich halte nach jedem Einsatz inne und lege alles bei Gott wieder ab. Es ist wichtig, sich auch um die eigene Seele zu sorgen."