Obergünzburg(mas). - Gierig schlingen die drei jungen Schwalben die Grillen hinunter. Die vier Wochen alten Jungvögel können nicht genug bekommen und verlangen mit ihren weit aufgerissenen Schnäbeln immer mehr. Geduldig wird ihnen das Futter gereicht, allerdings nicht von einem der Vogeleltern. Die noch vor wenigen Minuten tiefgefrorene Mahlzeit wurde von Annette Schneider mit der Nagelschere zurechtgeschnitten und nun achtet die Obergünzburgerin genau darauf, dass keiner der Piepmätze zu kurz kommt. Seit nun 16 Jahren pflegt und versorgt die Obergünzburgerin in ihrem Reihenhaus kranke Singvögel aller Art. Begonnen hat alles mit zwei winzigen, flugunfähigen Kohlmeisen, die von ihren Kindern im Garten gefunden worden waren. Inzwischen wurde daraus 'Annettes Singvogelstation' wie das Schild an der Haustüre verrät. In der Voliere im Garten tummeln sich die Dohlen Sindy, Jakob und Biene neben der Saatkrähe Albert. Alle sind für die freie Wildbahn untauglich und sind inzwischen zu Dauergästen geworden und fühlen sich zwischen den ebenso aufgenommenen Zwergkaninchen sichtlich wohl. Normalerweise versorgt Annette Schneider die Tiere so lange, bis sie wieder in der Lage sind, sich selber in der freien Natur zurechtzufinden. Sie fühlt es, wenn die Vögel nicht mehr bleiben wollen. Dann sei der Zeitpunkt gekommen, sie wieder frei zu lassen. Mit glänzenden Augen erzählt sie von dem Augenblick, in dem sie ihre aufgezogenen Mauersegler heuer entlassen hatte. Es bedeutet zeitintensive Arbeit, bis das Federtier wieder in die Lüfte abheben kann. Stündlich werden die nimmersatten jungen Schwalben mit Nahrung versorgt.
Im Mai beginnt die Saison, dann wenn die ersten Jungvögel aus den Nestern fallen und zu der Obergünzburgerin gebracht werden. Ihr Fachwissen beruht in erster Linie auf Erfahrungswerten, die durch Kommunikation mit anderen Pflegestationen und dem Tierarzt ergänzt werden. Frau Schneider verweist darauf, dass anscheinend verlassene Vogelkinder nicht immer verwaist sein müssen. Sei allerdings zu beobachten, dass die Küken über mehrere Stunden nicht gefüttert wurden, dann ist Hilfe notwendig. Nur zwei Tage Ruhe waren ihr heuer gegönnt, in denen sie keine Jungvögel zu versorgen hatte. Ansonsten waren es Blaumeisen, Kuckuck, Specht, Wiesenpieper und Eichelhäher, welche die Zeit und die Fürsorge der 53-Jährigen in Anspruch nahmen. Aus einem Hobby ist inzwischen eine Lebensaufgabe geworden. Im ganzen Haus sind die circa 70 Singvögel eingenistet: das ehemalige Kinderzimmer wurde zur liebevollen Aufzuchtstation umgewandelt, der Balkon ist mit weiteren Volieren bestückt, zwei Mauersegler dürfen es sich in einer Wäschewanne im Schlafzimmer bequem machen. Friedlich leben Exoten wie Zebrafinken neben der einheimischen Kohlmeise zusammen. Die Kapazitäten reichen allerdings nicht aus, um größere Tiere wie einen verletzten Mäusebussard zu versorgen. Diese werden an die Greifvogelstation in Memmingen weitergegeben. Inzwischen ist die Obergünzburgerin bekannt dafür, dass sie verletzte Vögel aufnimmt und pflegt. Bei ihrer freiwilligen Arbeit findet sie die Mithilfe ihres Mannes. Allerdings ist sie auch auf die Unterstützung von Geldspenden angewiesen, denn bei 80 bis 100 Insekten, die täglich von einer einzigen Schwalbe verspeist werden, verschwindet so einiges an Geld in den jungen Schlünden. Aber daran denkt Annette Schneider nicht, als sie ihren diesjährigen 97. Eingang entgegennimmt: ein Gartenrotschwänzchen, welches einer Katze zum Opfer fiel. Liebevoll wird sie auch diesen Jungvogel mit Wärmflasche, Medikamenten und Insekten aufpäppeln. Zusammen mit den Schwalben, die inzwischen schon wieder Hunger haben.