Memmingen (syr). - Wenn sie am frühen Morgen vom Zwitschern der Vögel geweckt werden, kuscheln sie sich in ihren weichen Federbetten aneinander und schwelgen in Erinnerungen. Und wenn sie durch eine Memminger Parkanlage spazieren, halten sie Ausschau nach ihren gefiederten Lieblingen. 'Na, bist du denn einer von den unseren?', flüstert Ingrid Seefelder dann. Fast fünf Wochen lang haben sie und ihr Mann Hugo ein Amselnest in ihrem Blumenkasten auf dem Balkon beobachtet. 'Wir sind sehr glücklich, dass wir das erleben durften', freut sich das Rentnerehepaar. Sie sitzen an einem Tisch vor dem Fenster mit Blick auf den Balkon. In den vergangenen Wochen haben sie hier viel Zeit verbracht. 'Immer gleich nach dem Aufstehen habe ich ganz leise den Rollladen hochgezogen', er- zählt Hugo Seefelder. 'Kam ich nach Hause, schaute ich jedes mal als erstes nach unserer Amselmama.' Oft haben die beiden auch beim Landesverband für Vogelschutz angerufen und sich über Amseln informiert. Doch seit geraumer Zeit ist das Nest leer. Heute liegt ein dicker Stapel Fotos vor ihnen. Drei gelbe, aufgesperrte Schnäbel junger Amseln ragen auf einem der Bilder aus einem braunen Holzblumenkasten zwischen lila, pinken und gelben Blumen. Auch Ingrid Seefelder reckt den Hals, reißt den Mund auf und bewegt den Kiefer. Ver- zückt streicht sie über das Bild. 'Es war lustig anzusehen, wie so ein dicker Wurm aus dem Schnabel der Mutter hing und die kleinen rechts und links daran zogen', erzählt ihr Mann. Bei Regen und starker Sonne hätten sie für ihre Schützlinge immer einen Schirm auf- gespannt. 'Die Amsel schaute uns dann dank- bar an.
Sie war glücklich', sagt Ingrid Seefel- der ganz ernst. 'Wie sieht denn ein glücklicher Vogel aus?', winkt ihr Mann grinsend ab und schüttelt den Kopf. Doch seine Frau ist nicht in ihrer Begeisterung zu bremsen. Und Hugo Seefelder wirft ihr dabei immer wieder liebevolle Seitenblicke zu. 'An einem Montag um 10.30 Uhr war das Nest fertig. Von Mittwoch bis Sonntag legte die Amsel jeweils ein Ei. Nach 15 Tagen sind dann die ersten zwei Winzlinge geschlüpft', Ingrid Seefelder weiß noch alles ganz genau. 'Und falls ich was vergesse, in diesem Kalender ist alles notiert', betont sie, blättert darin und fügt hinzu: 'Außerdem habe ich eine drei Seiten lange Dokumentation geschrieben'. 'Schon als Kind habe ich Käfer und Würmer im Haus laufen lassen, meine Oma schimpfte, aber mich hat es noch nie vor irgendeinem Tier geekelt', erinnert sich derweil ihr Mann. Sogar Spinnennetze in der Wohnung würden im Hause Seefelder nicht entfernt. 'Solange man keinen Besuch bekommt, macht das ja nichts', grinst er. Ihre kleine Stadtwohnung wollen sie sonst aber keinem Tier zumuten. Das letzte Foto zeigt ein achtjähriges Kind neben dem Vogelnest. Ein sanftes Lächeln umspielt seine Lippen. Doch das Rentnerehe- paar strahlt, es strahlt über das ganze Gesicht. 'Ach', stöhnt es wehmütig, 'vielleicht kommt ja nächstes Jahr wieder ein Vogelpärchen'.